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Grundsteuerbescheid: Einspruch!

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Von: Hannes Koch

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Die Grundsteuer könnte in ärmeren Wohnvierteln teils höher ausfallen als in reichen.
Die Grundsteuer könnte in ärmeren Wohnvierteln teils höher ausfallen als in reichen. © Hans Blossey/Imago

Der Bund der Steuerzahler und weitere Organisationen empfehlen den Besitzerinnen und Besitzern von Immobilien, sich gegen den Grundsteuerbescheid zu wehren – und zwar schnell.

Das Musterformular stellt der Bund der Steuerzahler auf seiner Internetseite zur Verfügung. „Wir empfehlen, Einspruch gegen den Grundsteuerwert-Bescheid einzulegen“, sagt Daniela Karbe-Geßler, bei der Lobbyorganisation zuständig für Steuerrecht. Diese Aufforderung richtet sich an Millionen Bürgerinnen und Bürger, die hierzulande Grundstücke und Häuser besitzen. Will der Steuerzahlerbund die Finanzämter lahmlegen?

Sowieso herrscht eine Menge Unsicherheit und Ärger im Zuge der Neuberechnung der Grundsteuer. 2019 beschlossen Bundestag und Bundesrat, ungefähr 36 Millionen Immobilien in Deutschland neu bewerten zu lassen. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die alten Zahlen untauglich seien.

So waren die Immobilienbesitzerinnen und -besitzer seit Mitte 2022 aufgerufen, elektronische Erklärungen mit einem Haufen Zahlen zur Beschaffenheit ihrer Häuser beim Finanzamt abzugeben. Für viele stellte die digitale Steuererklärung mittels des Elster-Programms eine hohe Hürde dar.

Ziel ist der Gang zum Bundesverfassungsgericht

Doch inzwischen haben die meisten Leute die Aufgabe erledigt. Bis Mitte April seien 83 Prozent der Erklärungen eingegangen, teilt etwa das nordrhein-westfälische Finanzministerium mit. Andere Bundesländer berichteten über vergleichbare Quoten. Zugleich bedeutet dies, dass zehn bis 15 Prozent der Steuerpflichtigen auch den Verlängerungstermin haben verstreichen lassen. In solchen Fällen können die Finanzämter die Angaben schätzen, was oft zu Ungunsten der Immobilienbesitzer:innen ausfallen dürfte. Zwangsgelder sind ebenfalls möglich, wobei etwa die Oberfinanzdirektion NRW darauf verzichten will.

Millionen Bescheide über den „Grundsteuerwert“, den ersten Schritt der Neuberechnung, haben die Finanzämter bereits versandt. Entsprechend der Aufforderung unter anderem des Steuerzahlerbundes reagierten viele Steuerpflichtige darauf mit einem Einspruch – in Berlin zum Beispiel ungefähr 20 Prozent, wie die Senatsverwaltung für Finanzen dieser Zeitung mitteilte. NRW gibt die Protestquote mit knapp fünf Prozent an, wobei diese Zahl von Ende Januar stammt. Viele andere Bundesländer dürften dazwischen liegen.

Wie werden die Finanzämter nun mit der hohen Zahl der Widersprüche umgehen? Einen Hinweis gibt etwa die Berliner Finanzverwaltung: „Sofern sich der Einspruch gegen die Anwendung der gesetzlichen Grundlagen richtet, hat er regelmäßig keine Aussicht auf Erfolg.“ Daniela Karbe-Geßler vom Steuerzahlerbund sagt trotzdem: „Den Grundsteuerwert-Bescheid des Finanzamtes sollte man nicht einfach hinnehmen, denn man kann nur innerhalb eines Monats Einspruch einlegen, danach nicht mehr.“

Politisch geht es den Kritiker:innen darum, Druck aufzubauen. Außerdem wollen sie aus den Einsprüchen einige gut begründete Fälle auswählen und diese im Rahmen von Musterverfahren durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht klagen. Dort hoffen sie, das Bundesgesetz größtenteils zu Fall zu bringen. Wobei das Ergebnis offen ist, und dieser Prozess vermutlich Jahre dauert.

Unterstützung erhält der Steuerzahlerbund von dem Verband der Immobilienbesitzer Haus & Grund, mehreren Organisationen von Rechtsanwält:innen und Steuerberater:innen und teilweise auch der FDP. Wobei Rechtsexpertin Karbe-Geßler betont: „Uns liegt es fern, den Finanzämtern Probleme bereiten zu wollen – es geht um den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger.“

Die Steuer ist ungerecht

Ihre Kritik am neuen Grundsteuerrecht ist grundsätzlicher Natur. Sie stützt sich nicht zuletzt auf ein Gutachten des Augsburger Finanzrechtlers Gregor Kirchhof. Dessen Einschätzung zufolge verletzt das Bundesgesetz von 2019 das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. So würden pauschalisierte Bodenrichtwerte und Nettokaltmieten – wichtige Variablen zur Wertfeststellung der Immobilien – den konkreten Bedingungen vor Ort nicht gerecht und die tatsächlichen Werte verzerren. Ein mögliches Ergebnis: Boden in reichen Vierteln werde teilweise niedriger bewertet als solcher in armen Quartieren. Das produziere Ungerechtigkeiten bei der späteren Steuerzahlung.

Kirchhof, der Steuerzahlerbund, Haus & Grund und ihre Mitstreiter halten deshalb das sogenannte Bundesmodell der neuen Grundsteuer für untauglich. Dieses wenden elf Bundesländer an. Die Kritiker:innen plädieren dagegen für das Flächenmodell, eine andere Variante auf Basis des Bundesgesetzes, die Bayern, Niedersachsen, Hessen und Hamburg praktizieren. Dabei dient im Prinzip nur die Grundstücksfläche zur Bemessung der Grundsteuer. Wobei auch dieses Modell zu Ungerechtigkeiten führen kann: Für gleich große Grundstücke wird dieselbe Grundsteuer erhoben, obwohl die Marktpreise der Immobilien in Abhängigkeit von der Lage sehr unterschiedlich ausfallen können. Eine Lösung, die allen gefällt, gibt es nicht.

Heute liegt die Grundsteuer oft recht niedrig. Viele Immobilienbesitzer:innen befürchten, dass es damit bald vorbei sein wird. Wobei sie die neue Höhe frühestens 2024 erfahren, wenn die Städte und Gemeinden ihre individuellen Hebesätze bekanntgeben. Erst dann weiß man, was die neuen Grundsteuerwerte, die Finanzämter jetzt gerade ermitteln, wirklich bedeuten. Auch dieses merkwürdige, mehrstufige Verfahren, das der föderalen Verteilung der Gesetzgebung zwischen Bund, Ländern und Kommunen geschuldet ist, motiviert die zahlreichen Einsprüche.

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