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Am Grubenrand

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Von: Barbara Schnell

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Protestaktion für Erhalt einer Landstraße am Tagebau Garzweiler
Protestaktion für Erhalt einer Landstraße am Tagebau Garzweiler. © Roberto Pfeil/dpa

Der Energieriese RWE erweitert den Tagebau Garzweiler II und reißt dafür eine Landstraße weg. Das trifft die angrenzenden Dörfer bis ins Mark.

Zwei Wochen nach dem Beschluss des „Kohleausstiegsgesetzes“, dessen umstrittener Paragraph 48 die „energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II“ verfügt, lässt der Braunkohlekonzern RWE keinen Zweifel daran, dass er den Buchstaben dieses Paragraphen möglichst schnell Fakten folgen lassen will. Obwohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene juristische Beschwerden gegen das Gesetz anhängig sind, verkündete der Konzern letzte Woche die Sperrung und den Abriss des Teilstücks der Landstraße L277 zwischen den Grubenranddörfern Keyenberg und Lützerath – und trifft damit einen ganzen Landstrich ins Mark.

Für das gesperrte Stück gibt es keine Alternativroute, und es ist nicht nur die letzte bauliche Trennungslinie zwischen den Dörfern und dem Tagebau, sondern es war auch eine wichtige, von vielen Autofahrern genutzte Nord-Süd-Verbindung. Während die Landespolitik fern der Realität der Anwohner agiert, wehrt sich eine Sprecherin der nördlich gelegenen Kommune Mönchengladbach zumindest – und ungewohnt deutlich – verbal: „Nicht zuletzt sind neben den großräumig wirksamen wasserwirtschaftlich-ökologischen Themen, der Verlust der Nachbarschaften und des Hinterlandes sowie die gekappten räumlichen Verbindungen als Folge des wandernden Lochs und schließlich der auf Dauer (Ewigkeit) bestehende Verlust der Landoberfläche wesentliche Argumente, sich gegen den Tagebau zu wehren.“

In knappster Zeit gelang es der Initiative „Alle Dörfer bleiben“, 800 Menschen zu mobilisieren, die am Sonntag in einem letzten Protestzug über die Landstraße spazierten – und am Ende im Niemandsland festsaßen, weil RWE die medial angekündigte Sperrung der Straße willkürlich um zwölf Stunden vorgezogen hatte und der Shuttlebus die Kundgebung nicht mehr erreichen konnte. Auch die Teilnehmer einer liturgischen Nachtwache am Rand der Straße waren gezwungen, weite Fußwege zum Ort ihrer Andacht zurückzulegen.

Auf die Solidarität der Demonstrierenden folgte am frühen Montagmorgen der Beginn der Devastierung – und die Anwohner bekamen einen ersten Vorgeschmack auf ihre neue Lebensrealität. „Ich bin von Autogeräuschen aufgewacht, das ist mir noch nie passiert“, so Norbert Winzen aus Keyenberg, an dessen Haus sich nun der Ausweichverkehr vorbeizwängt. Antje Gerlach aus dem 2016 per Leitentscheidung vor dem Tagebau „geretteten“ Nachbardorf stehen die Tränen in den Augen: „Holzweiler beginnt gerade zu zeigen, dass man einen Ort, der schon aufgegeben war, auch wiederbeleben kann. Jetzt wird uns ringsum alles abgeschnitten; das ist furchtbar für die kleinen Geschäfte im Ort genauso wie für uns persönlich, denn wir haben ja Freunde in den Nachbarorten.“ Das findet auch Arndt Klocke, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag NRW „verheerend“ und verspricht eine Kleine Anfrage an das Verkehrsministerium.

Für die Anwohner am Grubenrand, deren Glaube an demokratische Verfahren schwindet, kommt das aber zu spät.

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