Greenpeace-Analyse: Eingesperrt statt auf der Weide

Immer mehr Milchkühe stehen ganzjährig im Stall.
Das ist das Bild im Kopf der Verbraucher:innen: Kühe stehen auf der grünen Wiese, und sie grasen gemütlich vor blauem Himmel. Doch es trifft immer weniger die Realität. Der Anteil der Milchkühe, die hierzulande auf der Weide gehalten werden, ist weiter gesunken. Mehr als zwei Drittel der Tiere stehen rund ums Jahr im Stall und haben keinen Auslauf. Das geht aus einer Analyse hervor, für die die Umweltorganisation Greenpeace Daten der Bundesländer dazu ausgewertet hat.
In Deutschland werden rund elf Millionen Rinder gehalten, davon sind knapp vier Millionen Milchkühe. Laut der Greenpeace-Analyse hatten im Jahr 2010 noch 42 Prozent davon Zugang zur Weide, zehn Jahre später waren es nur noch 31 Prozent. Dabei konzentriert sich die Milchviehhaltung auf drei Bundesländer: Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo rund 60 Prozent der Tiere stehen. Bayern allein bringt es schon auf 28 Prozent.
Die Weidehaltung gilt, so die Tierärzte und Tierärztinnen, als besonders artgerecht. Sie fördert die Gesundheit der Kühe durch Sonneneinstrahlung und frische Luft. Die Tiere haben hier mehr Bewegungsfreiheit, können ihrem natürlichen Liegeverhalten besser nachgehen, zudem werden die Klauen und Gelenke geschont, und sie bleiben auch meist sauberer als im Stall. Greenpeace betont zudem eine Klimakomponente: Beweidetes Grünland speichere deutlich mehr CO2 im Boden als Ackerpflanzen. Hintergrund des trotzdem wachsenden Trends zur ganzjährigen Fütterung mit Silage und Kraftfutter im Stall ist, dass damit Arbeitskraft eingespart werden kann.
Die Umweltorganisation kritisiert in diesem Zusammenhang, dass in den vergangenen Jahren statt der Weidehaltung mit Milliardenbeträgen Haltungssysteme begünstigt worden seien, in denen die Tiere das ganze Jahr im Stall verbringen, etwa Boxenlaufställe. Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter sagt: „Kühe sind von Natur aus Lauftiere, die Gras fressen. Wir haben aus ihnen überzüchtete Turbokühe gemacht, die ganzjährig im Stall stehen und mit immer mehr Kraftfuttereinsatz dazu gebracht werden, maximal viel Milch zu geben.“
Zwischen den Bundesländern gibt es laut der Analyse interessante Unterschiede. Während in Schleswig-Holstein über die Hälfte der Milchkühe zumindest zeitweise auf die Weide kommt, stehen in Bayern wie in den Ost-Bundesländern rund 80 Prozent der Kühe das ganze Jahr im Stall. Problematisch ist dabei der Trend zu immer größeren Ställen. Großbetriebe mit mehr als 200 Kühen ließen aus organisatorischen Gründen kaum noch Weidegang zu, so Greenpeace.
In Bayern wird dabei ein großer Anteil der Rinder in sogenannten Anbindeställen gehalten, die aus Tierschutzgründen sehr umstritten sind. Die Tiere sind dabei an ihren Standplätzen oder in engen Boxen fixiert, mit einer Kette oder anderen Vorrichtungen am Hals. Sie können sich dadurch kaum bewegen. Bayernweit gab es diese Haltungsform 2020 in rund 56 Prozent der Höfe mit Milchvieh, nämlich rund 14 000. Die Zahl der betroffenen Milchkühe betrug 303 000.
Greenpeace fordert die Politik auf, die Milchviehhaltung in Deutschland zu verbessern. Weder Bund noch Länder hätten sich bisher ausreichend für Milchviehbetriebe eingesetzt, die ihre Kühe auf die Weide lassen, so Hofstetter zur FR. Der Bund müsse mit einem starken Weideförderprogramm die Trendwende einleiten. Es gebe ausreichend Gelder aus der EU-Agrarförderung, die dafür genutzt werden könnten. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist grundsätzlich für eine Umbau der Tierhaltung. Ein Plan zu dessen Finanzierung sollte bis Ende März vorliegen, doch der Termin wurde nicht gehalten. Die jüngste Agrarminister:innenkonferenz in der vorigen Woche in Büsum wiederum sprach sich zwar dafür aus, „Grünlandbetriebe bei den Öko-Regelungen …mehr (zu) berücksichtigen“, konkrete Beschlüsse gab es jedoch nicht.