Glück in Beruf und Karriere: „Was machen Sie aus dem Zufall?“

Der Ökonom Christian Busch über den Zufall und unerwartete Ereignisse, aktives Glück als Unternehmensstrategie und die Kartoffel-Waschmaschine.
Unerwartete Ereignisse können das Leben verändern: Aus dem Gespräch mit dem Sitznachbarn in der Bahn wird eine lebenslange Freundschaft, ein Laborunfall führt zu einer neuen Idee und beflügelt die eigene Karriere. Für Christian Busch ist der Zufall eine verborgene Kraft, die unser Leben formt. Der Wirtschaftswissenschaftler hat ihn deshalb zu seinem Forschungsthema gemacht. Im Interview spricht er über das Verhältnis von Erfolg und Zufall, aktives Glück und die Kartoffel-Waschmaschine.
Herr Busch, Sie beschäftigen sich mit Zufällen, die in unserem Alltag und Berufsleben eine große Rolle spielen. Ist Erfolg denn eine Frage des Glücks?
Oft sagen wir: Es ist entweder Glück oder harte Arbeit. Tatsächlich arbeiten viele Leute hart, um mehr Glück zu haben. Wenn man sich anschaut, was zu Innovationen führt und warum Unternehmen erfolgreich sind, dann sieht man: Diese Unternehmen haben gelernt, wie sie mit Zufällen und dem Unerwarteten umgehen müssen. Mein Lieblingsbeispiel ist die Kartoffel-Waschmaschine.
Die Kartoffel-Waschmaschine? Das müssen Sie erklären.
Vor ein paar Jahren haben Bauern in China die Waschmaschinen vom Unternehmen Haier zweckentfremdet. Statt Kleidung haben sie Kartoffeln darin gewaschen. Davon sind die Maschinen aber schnell kaputtgegangen. Als Haier davon gehört hat, hat das Unternehmen seine Waschmaschinen schnell angepasst, damit sie mit dem zusätzlichen Schmutz der Kartoffeln zurechtkommen. Haier hätte den Bauern sagen können, dass die Maschinen nur zum Waschen von Kleidung dienen. Stattdessen hat das Unternehmen die Möglichkeit erkannt und mit der Kartoffel-Waschmaschine ein neues Geschäftsfeld entdeckt. So entstehen viele Innovationen: Etwas läuft schief, etwas Unerwartetes passiert. Aber oft reagieren wir nicht darauf und verpassen die Serendipität.
Was ist Serendipität?
Serendipität ist aktives Glück. Es ist die Idee, dass wir den Zufall für uns nutzen können. Stellen Sie sich vor, dass Sie auf einer Konferenz unerwarteterweise die Person treffen, die Sie schon immer inspiriert hat. Das ist Zufall. Aber was machen Sie daraus? Sprechen Sie mit der Person, führen Sie vielleicht ein Interview? Wird das Interview vielleicht das Interview des Jahres, oder ergibt sich ein spannendes Jobangebot daraus? Aus dem Zufall etwas zu machen, darum geht es. Serendipität ist aktives Glück, das wir beeinflussen können.
Zufall in der Wirtschaft: Aktives und passives Glück
Und passives Glück?
Passives Glück ist etwas anderes, zum Beispiel in eine tolle Familie geboren zu werden – also Sachen, die wir uns nicht aussuchen können. Da kommt auch viel der sozialen Ungleichheit her.
Aber aktives und passives Glück hängen doch auch zusammen. Wer in eine wohlhabende und liebevolle Familie hineingeboren wird, geht in der Regel doch anders durchs Leben als Kinder aus Familien, die in dritter Generation von Sozialhilfe abhängig sind.
Absolut. Wer in New York oder Frankfurt eine tolle Ausbildung und ein hilfreiches Netzwerk hat, ist in einer völlig anderen Position als ein Sozialunternehmer aus einem verarmten Stadtteil von Nairobi. Aber da wird es spannend: Wir müssen überlegen, wie wir diese Startpositionen angleichen. Teile unserer Forschung findet in Kenia oder Südafrika statt. Dort sehen wir: Selbst in den verarmtesten Gebieten zeigen manche Menschen mehr von diesem Serendipitätsdenken als andere. Da kann auch die Entwicklungszusammenarbeit ansetzen, denn es ist sinnstiftend, wenn die Menschen ihr eigenes Glück schaffen und es ihnen nicht von anderen gegeben wird. Also weg von einer „Hand-out-Mentalität“ und hin zu einem Fokus auf – und systematischer Verbesserung von – Lebenschancen.
Ein unerwartetes Ereignis ist noch nicht automatisch ein Erfolg. Es passieren ja ständig unerwartete Dinge in unserem Leben: Wir treffen eine alte Freundin am anderen Ende der Welt oder sitzen in der Bahn neben einem Fremden, der genau den Job anzubieten hat, den wir gerne hätten. Wie übersetzt man einen solchen Zufall in Erfolg?
Es geht darum, die Punkte zu verbinden – connecting the dots. Es ist also nicht nur ein Ereignis, sondern es ist ein Prozess, der aktives Handeln erfordert. Das Tolle ist, dass wir diesen Prozess beeinflussen können, indem wir uns überlegen: Wie kann ich mehr solcher Momente kreieren? Wo könnten für mich günstige Zufälle passieren? Mit welchen Menschen muss ich mich dafür umgeben?
Zur Person
Christian Busch , 39, wuchs in Heidelberg auf, heute lebt er in den USA. Er ist Direktor des CGA Wirtschaftsstudiengangs an der New York University (NYU) und lehrt an der London School of Economics (LSE), wo er zuvor auch promovierte.
Sein Buch „Erfolgsfaktor Zufall“ erscheint am 28. Februar im Murmann-Verlag. sbh
Haben Sie ein Beispiel?
Viele Unternehmen verpassen Innovationen wie die Kartoffel-Waschmaschine, weil sie denken: Wir haben einen Plan, und unser Plan ist der richtige. Deswegen verschließt man die Augen vor Zufällen. Um das zu ändern, kann man im wöchentlichen Meeting fragen: Was hat euch letzte Woche überrascht? Das ist eine ganz einfache Frage. Aber sie öffnet den Raum zu sagen: Mensch, es hat mich überrascht, dass unsere Kunden unser Produkt ganz anders benutzen als von uns geplant. Damit macht man zwei Sachen: Erstens, man legitimiert das Unerwartete – es ist Teil des Plans. Und zweitens schafft man eine Kultur, in der Leute ihre Ideen einbringen können. Der Mitgründer von Pixar zum Beispiel sagt: Am Anfang waren alle Ideen unserer Filme schlechte Ideen.
Und auf der individuellen Ebene?
Auch da kann man mehr Serendipitätsauslöser schaffen, zum Beispiel mit der Hakenstrategie. Dabei setzt man in einem Gespräch möglichst viele Punkte, an denen sich die andere Person einhaken kann. Wenn Sie auf einer Konferenz jemanden fragen, was er beruflich macht, dann würde der vielleicht sagen: Ich bin Unternehmer, habe mich in die Philosophie der Wissenschaft eingelesen, aber was mich wirklich interessiert, ist Klavier zu spielen. Er gibt Ihnen also drei Punkte, an denen Sie sich einhaken können. Mensch, so ein Zufall – mein Bruder veranstaltet Piano-Sessions, komm doch mal vorbei. Solche Strategien gibt es viele.
Ökonom über Serendipität und Zufall: Man muss die Punkte verbinden
Es hilft also, neugierig und offen zu sein?
Absolut. Sie sollten sich auch bewusst machen, was Sie möglicherweise zurückhält. Schauen Sie zurück auf Momente in Ihrem Leben, in denen etwas Tolles hätte passieren können. Vielleicht hatten Sie eine unerwartete Idee in einem Meeting, haben sie aber nicht eingebracht – aus Angst vor Zurückweisung oder weil Sie das Hochstaplersyndrom haben. In diesem Fall hilft es, das Risiko anders zu framen: Es geht nicht darum, was passiert, wenn ich die Idee einbringe. Sondern: Was passiert, wenn ich schweige und die Idee nicht einbringe?
Sie haben jetzt einige Positivbeispiele genannt, Pixar oder die Kartoffel-Waschmaschine. Aber viele Chefinnen und Chefs werden doch die Augenbrauen hochziehen, wenn man ihnen sagt, dass sie dem Zufall in ihrer Unternehmensstrategie mehr Raum geben sollen.
Oft gilt Serendipität als „nice to have“. Aber spannend ist, dass wir vor allem in Krisen mit dem Zufall umgehen müssen. Dann wird Serendipität zur Notwendigkeit.

Ich muss da an Biontech denken. Das Mainzer Unternehmen suchte nach einem Mittel gegen Krebs, dann kam das Coronavirus, und Biontech erkannte: Möglicherweise haben wir ein Tool gegen das neue Virus. Plötzlich macht man Milliardengewinne.
Das ist ein tolles Beispiel. Biontech hat die Punkte verknüpft. Vor allem seit dem Ausbruch von Covid-19 gibt es viele solcher Beispiele.
Im Rückblick wird die Rolle des Zufalls allerdings häufig kleingeredet. Viele Menschen wollen sich nicht eingestehen, dass die gute Idee oder der nächste Karriereschritt zu großen Teilen Zufall war.
Keine Führungskraft sagt gerne: Ich hatte einen Plan – und dann ist etwas völlig anderes passiert. Diese Leute wollen Autorität zeigen; sie wollen zeigen, dass sie immer die Kontrolle hatten. Wir haben eine Studie mit 30 CEOs gemacht, um zu verstehen, was sie erfolgreich macht. Da hat sich gezeigt, dass viele einen Weg vorgeben, aber auch sagen: Wenn etwas nicht funktioniert, wenn wir neue Informationen haben, dann werden wir den Weg anpassen – das ist Teil des Plans. Sie haben also ein Mindset, das es wahrscheinlicher macht, positive Zufälle zu erkennen.
Gibt es denn auch ein Rezept für unglückliche Zufälle, für den Pechvogel?
Manchmal ist man in Situationen, in denen man systemisch im Unglück ist. Und man kann niemandem die Schuld für Unglück geben, es kann jedem widerfahren. Auf der anderen Seite gibt es Situationen, in denen unsere Haltung einen Unterschied macht. Die Frage ist dann: Lasse ich mich vom Unglück definieren, oder versuche ich, das Unglück zu definieren? Auch die Führungskräfte, mit denen wir gesprochen haben, hatten häufig Momente in ihrem Leben, in denen etwas Schlimmes passiert ist. Aber weil sie sich gefragt haben, was ihnen wirklich wichtig ist, wurde dann zum Beispiel der Bankrott zu einem Wendepunkt. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir können uns unsere Situation nicht aussuchen, die Reaktion darauf aber häufig schon. (Interview: Steffen Herrmann)