Getrieben vom Zorn des Volkes

Norwegens Regierungschef Støre will den Energieexport notfalls stoppen - noch im Sommer hörte sich das ganz anders an.
Fast als sei es ihm peinlich, hat Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre verkündet, dass sein Land künftig den Stromexport nach Deutschland und anderswo in Europa stoppen will, wenn daheim eine „reelle Gefahr für Energieknappheit“ auftritt. Der Sozialdemokrat erinnerte sich in diesem Augenblick vermutlich selbst an seine Worte bei einer Pressekonferenz im Sommer: „Ein Norwegen, das gewaltige Gelder am Gasexport verdient, aber jetzt sagt, dass wir die Tür auf andere Weise zuschlagen, in diesem Norwegen will ich nicht Ministerpräsident sein.“
Nach sechs Monaten mit sagenhaften Umfragetiefs für Støres Arbeiterpartei und das mitregierende Zentrum will er das nun wohl doch. Auf andere Gedanken gebracht hat ihn der Zorn in der Bevölkerung über astronomisch gestiegene Strompreise zulasten von Privathaushalten und Betrieben direkt in die Staatskasse.
2022 sorgte lange Trockenheit für bedenklich niedrige Wasserstände
Neben Gas und Öl unter der Nordsee ist das Land der Fjorde auch noch mit beneidenswert sprudelnder Wasserkraft gesegnet. 1761 Kraftwerke, fast ausnahmslos in öffentlicher Hand, standen im 2022 mit 136,7 Terawatt (bis 1. November) für 87,5 Prozent der gesamten Stromerzeugung. Vollkommen CO2-frei, ständig erneuerbar, spottbillig zu produzieren, und deshalb im Volksmund liebevoll „arvesølvet“, das Familiensilber, genannt.
So reichlich ist es vorhanden, dass hier im oft schrecklich kalten Norden Europas fast alle mit Elektrizität heizen. Und das in dem Land, das wie kein anderes in Europa als Gaslieferant von den Folgen des Ukraine-Krieges mit fantastisch klingenden Einnahmesteigerungen profitiert. Nur sprudelt die Wasserkraft je nach Wetterlage eben nicht gleichmäßig. 2022 sorgte lange Trockenheit für bedenklich niedrige Wasserstände in den mehr als tausend Reservoirs, was die Strompreise zusätzlich zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges in die Höhe trieb. Dass Norwegen trotzdem weiter über Kabel Strom nach Deutschland und Großbritannien ausführte, brachte die Volksseele nur noch mehr zum Kochen.
Daran änderten diverse Stützpakete der Regierung nicht das Geringste. Und schon gar nicht Støres ständige Hinweise auf die Notwendigkeit, „in Europa gegen die totalitären Kräfte zusammenzustehen“. Jan Kjærstad, Erfolgsautor und sozialdemokratischer Stammwähler, brachte es in einem offenen Brief an den Premier auf den Punkt: „Ihr schafft es nicht, den Leuten zu erklären, warum sie in ihren Wohnungen frieren müssen.“
Kritik am „selbst ernannten Lohn-Adel“
Støres ständige Verweise auf den Ukraine-Krieg als Ursache zerpflückte er mit Zahlen zu dem schon 2021 schockierenden Preisanstieg. Er verwies auf die 1991 auch von den Sozialdemokraten betriebene Liberalisierung des Strommarktes, die die Versorgung mit Elektrizität zu einem Spekulationsobjekt gemacht und Norwegen an das europäische Preissystem gebunden hat.
Auch die komplizierten Erläuterungen des Regierungschefs über „Sachzwänge“ durch die Bindung Norwegens an EU-Regeln über den „Europäischen Wirtschaftsraum konnten niemanden besänftigen. Kjærstad gestand, dass er das Regelwirrwarr aus heimischen und Brüsseler Regeln trotz tapferer Anläufe absolut nicht durchschaue. Aber es will ihm einfach nicht in den Kopf, dass er zeitweise auf seiner Stromrechnung das „vierzig- bis fünfzigfache des Produktionspreises“ für heimische Elektrizität berappen musste. Die Osloer Politikergarde sei gegenüber den Nöten der Bevölkerung wohl auch blind, weil als „selbst ernannter Lohn-Adel“ nicht betroffen: „116 Parlamentsmitglieder (von 169) bedienen sich kostenfreier Pendlerwohnungen in Oslo, in denen sie auch die Stromrechnung nicht selbst zahlen.“
Støre, selbst als Erbe einer Fabrikantenfamilie Multimillionär, verwies in seiner Antwort auf den viral gegangenen Schriftsteller-Brief auf Norwegens vermehrte Gaslieferungen vor allem nach Deutschland: „Das trägt zur Dämpfung des Gas- und im Gefolge auch des Strompreises bei.“ Nicht ganz falsch, aber doch ein mutiges Argument angesichts des dank teurer gewordenen Gases letztes Jahr auf 1,6 Billionen Kronen (147 Milliarden Euro) verdreifachten Handelsüberschusses.
Norwegens staatlicher Ölfonds, als Sparstrumpf aus den Gas- und Öleinnahmen der größte staatliche Investmentfonds der Welt, hat derzeit einen Wert von 13,4 Billionen Kronen (1,24 Billionen Euro). „Es gibt Zeiten, in denen es keinen Spaß bringt, Geld zu machen. Wir sind in so einer“, sagte Öl- und Energieminister Terje Aasland schon kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges. Es war die freundlich verpackte Ablehnung von Forderungen, die Übergewinne als Profiteur des Krieges wenigstens zu teilen.