Wem gehört der letzte Tropfen?

Experten fordern beim "Forum Entwicklung" eine Tourismuswende zu mehr Nachhaltigkeit.
Mit Tourismus aus der Armut?“ Ilija Trojanow hatte eine ganz klare Antwort auf diese Frage des Abends: Nein, das ist ein unsinniges Konzept. Der bekannte Weltenbummler und Schriftsteller („Der Weltensammler“, „Eistau“, „Der entfesselte Globus“) haute ein paar markige Sprüche raus, die im Publikum für Aufmerksamkeit sorgten und ihm nicht wenig Applaus einbrachten. „Massentourismus ist kein Reisen, sondern organisierte Zerstörung“, sagte er. Oder: „Kreuzfahrten sind Verbrechen mit Sonnenbrand – wer aufs Meer will, soll segeln lernen und sich ein Boot leihen.“ Und: „Es gibt kein Menschenrecht, sich in der Fremde zu entspannen“ – das gehe besser im eigenen Land.
Fernreisen boomen. Nicht weniger als elf Millionen Deutsche machen jedes Jahr Urlaub in Entwicklungs- oder Schwellenländern. All-Inclusive-Woche auf Phuket, Badeurlaub auf den Malediven, Kreuzfahrt in der Karibik – das ist für viele inzwischen nichts Exotisches mehr. Nach Schätzungen tragen sie in den Zielländern rund 19 Milliarden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei und sichern so etwa 1,8 Millionen Jobs. Tourismus ist weltweit ein zunehmend wichtiger ökonomischer Faktor, liegt unter den wichtigsten Branchen bereits auf Platz drei, noch vor der Autoindustrie. Er erwirtschaftet heute bereits zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung; in armen Ländern sind es teils sogar mehr als 40 Prozent.
Wie schön also wäre es, wenn das ginge: „Mit einer Woche Dom-Rep mehr für die Entwicklung tun als ein Leben lang Fair-Kaffee-Trinken bewirken kann“ – so der Moderator des Diskussionsabends im „Forum Entwicklung“, FR-Redakteur Tobias Schwab. Das Forum wird regelmäßig von der Frankfurter Rundschau, der Radiowelle hr-info und der Deutschen Gesellschaft für International Zusammenarbeit (GIZ) veranstaltet.
Tatsächlich biete der Tourismus den armen Ländern durchaus große Chancen, sagte GIZ-Experte José Fröhling. Er versetzte sie in die Lage, Infrastrukturen aufzubauen, Arbeitsplätze zu schaffen, lokale Wirtschaftsläufe zu fördern und damit auch die Armut der lokalen Bevölkerung zu reduzieren. Die GIZ hat im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung weltweit rund 50 Projekte aufgelegt, um einen angepassten Tourismus voranzubringen.
Fröhling berichtete über Ansätze in Ägypten, Albanien und Marokko. In Ägypten hilft die GIZ Hotels, umweltfreundlicher und energieeffizienter zu werden und hat dafür mit der heimischen Hotelbranche ein eigenes Gütesiegel entwickelt, für das auch einheimische Fachkräfte ausgebildet wurden. Mittlerweile gebe es bereits 60 zertifizierte Domizile, die zwischen 20 bis 30 Prozent Energie und Wasser einsparten, so Fröhling.
In Albanien wird im wildromantischen, alpenähnlichen Norden eine Infrastruktur für Bergwanderer aufgebaut, von der inzwischen rund 2000 einheimische Familien profitieren. In Marokko geht es um nachhaltigen Tourismus in der Nähe von Naturparks, und zwar in Verbindung mit dem Aufbau lokaler Produktion – etwa der Vermarktung von Datteln, Herstellung von Kosmetik oder lokalem Kunsthandwerk. „Wir erreichen damit, dass nicht nur Saisonjobs entstehen, sondern die Leute rund ums Jahr Arbeit haben“, sagte Fröhling.
Dass das ein anderer Urlaub ist, als ihn die großen Reiseanbieter standardmäßig im Programm haben, ist offensichtlich. Es gebe zwar „einen Trend zum Individualtourismus“, berichtete Friederike Grupp, die Nachhaltigkeitsbeauftrage des Touristik-Unternehmens Thomas Cook. Doch die meisten Menschen wollten eben „an den Strand“. Der Badetourismus, ob am Mittelmeer oder zunehmend auch in fernen Ländern, bleibe der Schwerpunkt.
Grupp betonte, man arbeite intensiv an einer „Nachhaltigkeitsstrategie“, um negative Umweltfolgen zu mindern und zu erreichen, dass die lokale Bevölkerung mehr vom Tourismus profitieren kann. Grupp berichtete über Wasserspar-Programme auf Rhodos, Aktionen gegen Lebensmittel-Verschwendung, Hotels mit eigener Bio-Landwirtschaft, Angebote für Touristen, die das tägliche Leben der Einheimischen kennenlernen wollen („Live like a local“).
Eher skeptisch betrachtete die Tourismusexpertin Antje Monshausen den Erfolg solcher Ansätze. Motto: gut gemeint, aber nicht durchschlagend. Hotels mit Umwelt- oder Nachhaltigkeits-Zertifikaten gebe es allenfalls „im Promillebereich“, sagte die Leiterin des Informationsdienstes „Tourism Watch“ bei der Hilfsorganisation „Brot für die Welt“. Generell bestehe die Gefahr, dass die positiven ökonomischen Effekte des Ferntourismus in den Entwicklungsländern vor Ort durch negative Folgen für die lokale Bevölkerung wieder aufgezehrt werden.
Als Beispiel nannte Monshausen den Kampf ums Wasser. „Oft fällt die Urlaubszeit in den Reiseländern mit der Trockenzeit zusammen“, berichtete die Tourismus-Expertin. Dann gebe es den Konflikt: „Wem gehört der letzte Tropfen Wasser“ – den Hotels und Golfplätzen für die Touristen oder den Einheimischen. Monshausen forderte eine „Tourismuswende“, vor allem auch wegen der extrem hohen Emissionen, die mit Fernreisen per Flugzeug oder Kreuzfahrtschiffen verbunden seien.
Die Reiseveranstalter trügen aufgrund ihres großen Einflusses auf die Lebenssituation der lokalen Bevölkerung und Arbeitskräfte sowie auf Umwelt und Kultur eine große Verantwortung. Sie müssten ihre Managementprozesse an alle 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 anpassen, forderte Monshausen.
Autor Trojanow hieb in dieselbe Kerbe. Allerdings noch weitaus fester. Nach einem Tipp gefragt, wohin noch unentschlossene Urlauber in diesem Jahr fahren sollten, empfahl er eine Bücherei oder Bibliothek. „Kaufen sie Romane“, sagte er – und empfahl drei Titel, von denen einer in Kenia spielt, einer in Japan und einer in Kuba. „Legen Sie sich in den Liegestuhl auf eine Wiese und lesen Sie.“ Am Ende sei man entspannt und braungebrannt und habe mehr über die Länder erfahren als auf den meisten Reisen. „Ihre Nachbarn werden Sie beneiden“, versprach Trojanow.