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Zeit für Normalos

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Von: Hilke Brockmann

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Folgt man oder frau der medialen Berichterstattung, dann passiert alles Mögliche überall gleichzeitig.
Folgt man oder frau der medialen Berichterstattung, dann passiert alles Mögliche überall gleichzeitig. © Imago

Es scheint als gerät langsam alles aus den Fugen. Wie wäre es also mit smarter Basisdemokratie? Die Kolumne „Gastwirtschaft“.

Geht es ihnen auch so, „everything, everywhere all at once“? Der Titel des Oscar-Gewinners bringt es gut auf den Punkt. Folgt man oder frau der medialen Berichterstattung, dann passiert alles Mögliche überall gleichzeitig.

Gestern crashed irgendeine US-Zukunftsbank. Heute erzittern weltweit die Aktienmärkte und rufen erneut den Staat auf den Plan. Am östlichen Rand Europas kämpfen Russen teils mit primitivstem Gerät einen Graben- und Häuserkampf, während in Hollywood reiche Menschen dem (Anti-)Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ applaudieren. Eben noch rufen Tausende in Irans Straßen „Frau, Leben, Freiheit“, dann folgen Verhaftungen und Hinrichtungen und schon geben sich die politischen Vertreter Irans und Saudi-Arabiens unter Vermittlung Chinas friedlich die Hände. In Deutschland kämpft eine letzte Generation gegen den Klimawandel und andere deutsche Generationen buchen Kreuzfahrten, was das Budget hergibt.

Wie geht das zusammen? Es scheint als würden sich die Wirklichkeiten multiplizieren. Und die Zeit eine Höllenfahrt aufnehmen. Aber ist das unvermeidlich? Oder gerät die Welt nur aus den Fugen, weil die Medien die Extreme lieben? Oder weil die Mehrheit schweigt? Weil das Durchschnittliche und damit die Mehrheit keinen Zugriff auf Entscheidungen hat, die unser aller Leben prägen und in den Abgrund reißen können?

Kann es sein, dass sich in dieser Hinsicht alte Demokratien weniger von Autokratien unterschieden, als uns das lieb ist? Denn je länger eine Minderheit das Sagen hat, herrschen wahrscheinlich falsche Präferenzen. Was sonst nährt imperiale Machtphantasien, Größenwahn und Skrupellosigkeit?

Wenn (Partei-)Eliten aus dem Ruder laufen, dann hilft das unprätentiöse Mittelmaß, ein zivilisierter Diskurs und eine Begrenzung von Macht. Es wird Zeit für Normalos, für Leute, die sich weniger für unersetzbar halten. Klingt nach AfD? Ganz und gar nicht! Denn in Demokratien regiert die Mehrheit und die Mehrheit liegt in der Mitte. Trotzdem schützen Demokratien Minderheiten und arbeiten sich an ihren innovativen Ideen zivilisiert ab. Es ist höchste Zeit für uns, unser Gesellschaftsmodell ehrlich zu reformieren. Kein Normalbürger braucht imperiale Größe, ungezügeltes Wachstum oder einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Stattdessen im Westen mal was Neues. Wie wäre es mit smarter Basisdemokratie und Bruttonationalglück?

Die Autorin ist Soziologin. Sie arbeitet an der Jacobs University in Bremen.

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