Wie rassistisch sind Sie?

Wir müssen mehr reden - nicht nur über die Chancengerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, sondern über die Basis: Menschenrechte, das Grundgesetz und die moderne Demokratie. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Es war nichts als eine Aufwärmübung. Eine schnelle Fragerunde zur Auflockerung. Ein Kennenlernspiel. Im Rahmen eines innerbetrieblichen Seminars. Diversitätstraining für Führungskräfte. In einem deutschen Werk einer internationalen Maschinenfabrik. Eine männerlastige Kultur. Ziel war es, die rund 15 Manager:innen für verdeckten Sexismus und unbewusste Frauenfeindlichkeit zu sensibilisieren.
Um das eigene Selbstbild für eine kritische Reflexion zu öffnen, sollte es erstmal didaktisch gestärkt werden. Also ging es um Selbstverständlichkeiten: Eigenschaften, die jeder für sich selbst in Anspruch nimmt, einfach weil es in unserer Gesellschaft klar dazu gehört. Wo stehe ich auf einer Skala 1 (gar nicht) bis 10 (voll und ganz): Wach? Haha, 7 bis 8! Lernfähig? 8 bis 9. Weltoffen? 10! Rassistisch? 1! Antisemitisch? 1! Demokratisch? 10. Und so weiter.
Wenn das Ego kongruent zur Haltung sicher steht, dann geht es los damit, vorsichtig am Lack zu kratzen: Wann haben Sie das letzte Mal was gelernt? Wie weltoffen sind Sie, wenn eine Frau in Burka vor Ihnen steht? Denken Sie immer dasselbe egal, ob Cansin, Kathrin oder Kenza die Mail unterschrieben hat? Laden Sie die Praktikantin genauso unbeschwert zum Afterwork-Bier ein wie den Praktikanten? Und freuen Sie sich, wenn der neue Kollege seinen Mann zum Grillabend mitbringt?
Das war der Plan. Er ging schon in der Aufwärmrunde in die Hose. Die Mehrheit auf Level 5 bis 8 bei wach und lernfähig, war noch lustig. Die Ballung im Mittelfeld bei weltoffen und rassistisch, ließ sich auch als Selbstkritik deuten. Aber wieso dann die klare 1 bei antisemitisch? Und was war los, als nur der Manager aus Indien sich bei demokratisch klar auf der 10 positionierte, während alle anderen sich bis zur 3 hinab bewegten?
Der bittere Verdacht: Demokratie steht nicht mehr sonderlich hoch im Kurs. Auch Vielfalt und Toleranz sind keineswegs selbstverständlich im Wertesystem unserer Gesellschaft. Immerhin ist antisemitisch eindeutig verpönt. Trotzdem: Wir müssen mehr reden. Nicht nur über die Chancengerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, sondern über die Basis: Menschenrechte, Grundgesetz und die Funktionsbedingungen der modernen Demokratie. Google und Glotze reichen dafür nicht. Twitter und Tiktok sind keine diskursiven Plattformen, Talkshows keine politischen Debatten. Der eine Seminartag war dafür nicht genug. Er reichte noch nicht mal als Aufwärmübung.
Die Autorin ist Kommunikationsberaterin.