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Risse in der Erzählung von der neutralen Ökonomik

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Von: Anne Löscher

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 Studierende in Vorlesung.
Studierende in Vorlesung. © Rolf Vennenbernd/dpa

Die Wirtschaftswissenschaften können nicht politisch neutral sein. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.

Ist der Ruf nach Wissenschaftlichkeit und Pluralismus nur mit politischer Neutralität vereinbar? Auch das Netzwerk Plurale Ökonomik (NPÖ) diskutiert diese Frage immer wieder kontrovers. Der Arbeitskreis „Ökonomik und Verantwortung“ hat 2019 die Mitglieder des Netzwerks gefragt, wie sie zu diesem Thema stehen.

Etwa ein Fünftel der Mitglieder des NPÖ nahm an der Umfrage teil. 15 Prozent davon gaben an, dass ihnen rechte Vereinnahmungsversuche auf Lokalgruppen- oder Netzwerkebene bekannt waren. Mehr als 80 Prozent teilten die Einschätzung, in Deutschland würden zunehmend demokratische Errungenschaften in Frage gestellt werden und insbesondere rechte Positionen würden Fuß fassen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das Gros der Befragten es befürwortet, auch die Wirtschaftswissenschaften nicht als politisches Vakuum zu betrachten. Sie sehen das NPÖ in der Verantwortung, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen: 70 Prozent sprachen sich dafür aus, dass die Ökonomik im Allgemeinen und das Netzwerk im Speziellen vermehrt gegen Rechtspopulismus vorgehen sollte.

Das steht im starken Widerspruch zur Selbstdarstellung des ökonomischen Mainstreams. Dieser ist stark von Karl Poppers Forderung nach methodologischem Positivismus geprägt, also nach einer beschreibenden, vermeintlich wertfreien Ökonomik. In einem Wissenschaftsverständnis, das sich nur auf empirisch beschreibbare Sachverhalte reduziert, stellt sich die Frage nicht, welche Wirtschaftspolitik rechtes Denken fördert beziehungsweise in dessen Logik agiert – und welche Rolle die Ökonomik dabei spielt.

Aber offenbar gibt es Überschneidungen zwischen wirtschaftsliberalem und rechtem Denken. Die Studie „Deutsche Zustände“ stellt einen Zusammenhang zwischen der positiven Bewertung von freier Marktwirtschaft und Konkurrenz mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit fest. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Ishay Landas‘ Analyse zum Verhältnis zwischen (Wirtschafts-)Liberalismus, Ökonomik und Faschismus. Damit bekommt die populäre Erzählung von der neutralen Ökonomik erhebliche Risse. Ökonomik mag zwar versuchen, parteipolitisch neutral zu bleiben, aber politisch neutral kann Ökonomik durch ihre soziale Einbettung nicht sein – selbst dann nicht, wenn sie einfach nur „wertfrei“ den Status quo beschreibt.

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