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„Privat vor Staat“

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Von: Martin Staiger

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Werden Sozialleistungen in den Privatsektor ausgelagert, halten Gesellschaften die Hand auf.
Werden Sozialleistungen in den Privatsektor ausgelagert, halten Gesellschaften die Hand auf. © Imago

Staatliche Sozialleistungen bedeuten Umverteilung – weg von den Versicherten, hin zu den Anbietern. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.

Dass die Ausgaben für Sozialleistungen zu hoch sind, gehört in Kreisen, die sich als konservativ oder liberal bezeichnen, zum Standardrepertoire. Überbordend sei er, der Sozialstaat, gefräßig, ja geradezu unbezahlbar. Rente, Kranken- und Pflegeversicherung, Wohn- und Bürgergeld, wer soll das alles bezahlen? Und, so ebenfalls ein konservativ-liberaler Verdacht: Kommen die Sozialleistungen auch wirklich bei denen an, die sie benötigen?

Man kann das sehr wohl fragen und durchaus zu einem verneinenden Ergebnis kommen. So kommt ein Teil der Ausgaben für die Riesterrente nicht bei den Versicherten, sondern bei den Versicherungsgesellschaften und ihren Anteilseigner:innen an. Aufwendungen der Pflegeversicherung sichern nicht nur – oft mehr schlecht als recht – die Pflege alter Menschen, sondern auch die Renditen von Pflegeimmobilien, die nicht umsonst als attraktive Kapitalanlagen beworben werden.

Die an privatisierte Krankenhäuser bezahlten Versichertengelder aus der gesetzlichen Krankenversicherung kommen nicht nur der Behandlung von Kranken, sondern auch den Aktionär:innen der Krankenhausgesellschaften zugute. Und inzwischen werden vermehrt Arztsitze von Kapitalgesellschaften aufgekauft, die vermutlich auch nicht nur eine gute ärztliche Versorgung im Sinn haben.

Auch ein Teil des Wohngeldes sowie der Kosten der Unterkunft für Bürgergeldbezieher:innen wird an Aktionär:innen umverteilt. Denn die erheblichen Dividenden, die die großen Wohnkonzerne Jahr für Jahr ausschütten, stammen – woher auch sonst – aus ihren Mieteinnahmen. Und diese werden teilweise von den Wohngeldstellen und den Jobcentern bezahlt.

„Privat vor Staat“ – so hieß das Motto in den 1990er-Jahren, dem die meisten politischen Parteien wie die Lemminge hinterherliefen. Das Ergebnis lässt sich heute besichtigen: Ein nicht geringer Teil eigentlich staatlicher Aufgaben der sozialen Sicherung wird inzwischen von privaten Gesellschaften wahrgenommen, die zur Honorierung ihrer Leistungen bei den Steuer- und Beitragszahler:innen kräftig die Hand aufhalten. Und diese zahlen – es bleibt ihnen ja auch gar nichts anderes übrig.

So wird ein Teil der gerne laut beklagten Sozialleistungen ausgerechnet an diejenigen umverteilt, die am lautesten klagen.

Der Autor ist Experte für Sozialrecht.

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