1. Startseite
  2. Wirtschaft
  3. Gastwirtschaft

Polemik im Faktencheck

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Anja Piel

Kommentare

Arbeitszeiterfassung bedeutet Sicherheit, sagt unsere Autorin.
Arbeitszeiterfassung bedeutet Sicherheit, sagt unsere Autorin. © Achim Scheidemann

Arbeitgeber rütteln seit Monaten offensiv am Arbeitszeitgesetz. Das muss aber unbedingt weiterhin geschützt werden.

Mehr Bock auf Arbeit forderte BDA-Chef Kampeter in der Debatte um die Arbeitszeit. Wie das bei Beschäftigten ankam, ließ sich am bitteren Spott in den sozialen Netzwerken ablesen. Was sich so mancher da in seinem Elfenbeinturm zusammenreimt, entspricht eben nicht der Lebensrealität arbeitender Menschen. Und es trifft sich schon gar nicht mit den Erwartungen ebender Jüngeren, auf die die Arbeitgeber nach der Verrentung der Babyboomer erst recht nicht verzichten können. Kampeters Polemik ist leider keine vereinzelte Provokation. Seit Monaten versuchen Spitzenvertreter der Wirtschaft, eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes herbeizureden: Acht-Stunden-Tag und elf Stunden Ruhezeit seien nicht mehr modern und nicht ausreichend flexibel.

Solche Angriffe auf das Arbeitszeitgesetz und damit den Arbeitsschutz gipfeln sogar in unwahren Behauptungen – beispielsweise, dass begrenzte Arbeitszeiten und Arbeitszeiterfassung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren. Oder dass die Arbeitszeiten in Deutschland angeblich zu den kürzesten der Welt gehören. Und dass das Arbeitszeitgesetz modernisiert werden müsse, weil es aus den 60er Jahren stamme.

Der Faktencheck: Nicht erst nach drei Jahren Krise wissen wir, dass entgrenzte Arbeit Gift für Vereinbarkeit ist. Arbeitszeiterfassung bedeutet Sicherheit in der Flexibilität. Die bietet das Arbeitszeitgesetz schon jetzt. Die Wochenarbeitszeit von Vollzeiterwerbstätigen liegt in Deutschland sogar leicht über dem Durchschnitt in der EU. Und das Arbeitszeitgesetz stammt nicht aus den Sechzigern, sondern aus den Neunzigerjahren. Was älter ist, ist der Acht-Stunden-Tag. Er war die erste Forderung der internationalen Arbeiterbewegung. Die Umsetzung kennzeichnet den Übergang vom Kaiserreich in die Demokratie der Weimarer Zeit. Schon damals war klar: Nur wer seine Kraft nicht den ganzen Tag in der Fabrik lässt, kann sich an demokratischen Prozessen beteiligen.

Dass zu lange Arbeitszeiten und zu kurze Ruhezeiten krank machen, ist übrigens eine der arbeitswissenschaftlich am besten belegten Erkenntnisse. Nur bei maximal acht Stunden Arbeit, gefolgt von mindestens elf Stunden Ruhezeit, können Beschäftigte voll regenerieren. Alles andere heißt, wissentlich Menschen auf Verschleiß zu fahren. Deshalb ziehen Gewerkschaften die Reißleine: Hände weg vom Arbeitszeitgesetz!

Die Autorin ist Mitglied im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand und verantwortet die Themen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie Rechtspolitik, Migration und Antirassismus.

Auch interessant

Kommentare