Neues Kräftespiel

Die Politik muss integrativer werden. Wir brauchen neue Strukturen – auch neue Räume, Häuser und öffentliche Plätze, die uns gemeinsam Politik machen lassen. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Im politischen Geschäft ist das Glück des einen das Unglück des anderen. In Bremen gewinnt eine Partei, die sich „Bürger in Wut“ nennt, quasi aus dem Stand 11,6 Prozent, in Bremerhaven gar 20 Prozent. Was macht die Bürger so wütend? Ihr Plakatwettbewerb zielt auf die Straßenverkehrsordnung, auf migrantische Kriminalität und eine Sprache mit Gendersternchen. Einmal ein Zuviel an staatlicher Regulierung, in anderen Bereichen zu wenig Regeln.
Hat der Staat für viele das rechte Maß verloren? Für die wütenden Bürger scheint das so zu sein. Denn zentral im Wahlprogramm dieser Partei steht das etablierte politische System selbst. Der Bremer Filz. Nach 78 Jahren SPD- Herrschaft sehen wütende Bürger vor allem Postenschacher, Vetternwirtschaft und politische Abgehobenheit. Da dürften selbst die abgestraften Grünen verdutzt sein; auch die Bürger in Wut wollen Basisdemokratie und Mitbestimmung von unten. Was also ist faul im Staate Dänemark?
In der Pandemie, seit dem Krieg in der Ukraine und der rasanten Erwärmung unseres Planeten haben wir uns eine Rosskur auferlegt. Erst mussten wir alle zu Hause bleiben und dann raus aus russischen Öl und Gas. Das ist teuer in jeder Hinsicht.
Abhilfe von dieser staatlichen Übergriffigkeit bringt nicht der Ruf nach wirtschaftlicher Freiheit. Schließlich hat uns der globalisierte Warenverkehr den rasanten CO2-Anstieg beschert. Und je reicher die Leute sind, desto gewaltiger ihr ökologischer Fußabdruck! Auch die Verfehlungen des Marktes tragen nicht zur Vertrauensbildung bei.
Kann es jetzt nur noch eine wütende Gurkentruppe in der Bürgerschaft richten? Wohl kaum. Die AfD hat sich in Bremen bereits zerlegt. Viel wichtiger ist der Weckruf, der von diesen Wählern ausgeht. Die Politik der immergleichen Parteien muss durchlässiger und integrativer werden.
Wir brauchen ein neues Kräftespiel. Keine paternalistische Geste, die die wählende Bevölkerung bemuttert und dann außen vor lässt. Wir brauchen neue Strukturen – auch neue Räume, Häuser und öffentliche Plätze, die uns gemeinsam Politik machen lassen. Denn im Angesicht des politischen Gegners werden wir sehen, dass uns da kein machtgeiles, rücksichtsloses Arschloch gegenübersitzt, sondern ein Mensch mit verständlichen Sorgen und Wünschen. Es ist Zeit, dass wir uns kennenlernen.
Die Autorin ist Soziologin und arbeitet an der Constructor University (ehemals Jacobs University) in Bremen.