Neue Eliteerzählungen

Private Finanzinstrumente sollen ein zentrales Instrument zur Lösung der Umweltkrise sein. Löst das wirklich unsere Probleme? Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Die Queen stellte 2008 etablierten Finanzfachleuten die legendäre Frage: Warum hat niemand die Finanzkrise kommen sehen? Eine Erklärung ist, dass Eliteerzählungen, etwa vom Nutzen des Shareholder Values, benutzt wurden, um die Lösung der krisenverursachenden Verteilungsprobleme und Interessenskonflikte zu verhindern.
Heute sollen private Finanzinstrumente ein zentrales Instrument zur Lösung der Umweltkrise sein. Die optimistischen technische Narrative lauten: Die Lösung der Krise sei zwar eine Herausforderung, de facto aber eine Win-Win-Situation, denn ökologische Anlagen seien weniger riskant und langfristig rentabler, der Umbau führe zu Wirtschaftswachstum und Innovation. Hindernisse werden als Wissens- und Bildungsprobleme geframt: Unternehmen müssen transparenter bilanzieren und Anleger:innen mehr Finanzbildung haben, um die richtige Wahl treffen zu können.
Expert:innen, die Interessensgegensätze mitdenken, sind skeptisch. Laut der NGO Urgewald sind drei Billionen US-Dollar in Kohle, Öl und Gas investiert. Selbst als nachhaltig eingestufte Geldanlagen sind in vielen Fällen kaum von konventionellen Produkten zu unterscheiden, fand die Organisation Finanzwende heraus.
Eigentlich sollte die Taxonomie-Verordnung der EU einheitliche wissenschaftsbasierte Bewertungskriterien für Finanzanlagen einführen. Das komplexe Regelwerk definiert sechs Umweltziele, wie den Schutz des Klimas und von Wasserressourcen, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität. Eine nachhaltige Tätigkeit muss einen substanziellen Beitrag zur Verwirklichung leisten, darf kein Ziel beeinträchtigen und muss soziale und Kriterien guter Unternehmensführung erfüllen. Doch die Kommission hat auch Atomkraft und Gas als nachhaltig eingestuft.
Es wird suggeriert, dass Finanzbildung und Transparenz ausreichen und es unnötig ist, Interessenskonflikte auszuhandeln. Aber Lobbyaktivitäten und Greenwashing machen es auch informierten Anleger:innen schwer, nachhaltige Investitionen auszuwählen. Fossil zu investie-ren ist hingegen leicht.
Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass eine strategische Eliteerzählung wieder die Problemlösung verhindern darf.
Die Autorin arbeitet am Soziologische Forschungsinstitut Göttingen und ist Vertretungsprofessorin an der Universität Hamburg.