Neue Apps für das alte System

In der Transformation wird das Wachstumsstreben nicht infrage gestellt. Das ist ein Fehler. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist auf Wachstum programmiert. Stillstand ist Rückschritt. Im 21. Jahrhundert, 78 Jahre nach dem Neustart von 1945, müssen wir als Ergebnis auf der Negativseite Ungleichheit, Überkonsum und Umweltzerstörung samt Klimawandel festhalten. Auch wenn es sicher von niemandem beabsichtigt war, ist dieser Teil der Bilanz doch eng mit der Nutzung des zugrundeliegenden Systems verbunden.
Eine möglichst hohe Rendite in Verbindung mit effizient eingesetztem Kapital ist fest im Kern des Hardware-Betriebssystems der kapitalistischen Marktwirtschaft einprogrammiert und hat den Effekt des Wachstumsdrangs. Der wirtschaftende Mensch baut darauf mit kreativen Ideen eine ständig steigende Anzahl von Nutzungsanwendungen (Apps) auf, die zu einer undurchdringbaren, mit sich selbst verschachtelten Komplexität von Verbindungen und Auswirkungen führen. Aus den Wesensmerkmalen der Wirtschaftssubjekte sind die genannten Ergebnisse nicht direkt ableitbar. Die Produktion unerwünschter Resultate samt deren Nebenwirkungen ist ein unbeabsichtigter Nebeneffekt. Liegt es dann nicht auf der Hand, sich mit dem „Maschinencode“ zu befassen? Brauchen wir nicht einen radikalen Neuaufbau der Marktwirtschaft?
Auf dem aktuellen Weg in die von allen gewünschte und angestrebte Transformation wird dieses Betriebssystem jedoch auch weiterhin nicht infrage gestellt. Man versucht, neue Apps zu finden, die auf dem alten System laufen. Grünes Wachstum und Entkopplung von Produktion und Ressourcenverbrauch sind dazu die Schlagworte. Die Wachstumsideologie wird mit vermeintlich nachhaltigen Anreizsystemen verbrämt, aber weder der Wille noch die Fähigkeit zu konkreten Kurskorrekturen wird erkennbar. Das macht die weitere Entwicklung absehbar: Umverteilungsmaßnahmen und ökologisch-soziale Marktkorrekturen als Antwort auf die sich unaufhaltsam entwickelnde Symptomatik des Niedergangs werden die Politik in Atem halten. Ein Befassen mit den tieferen Strukturen des Wirtschaftssystems wird ausbleiben. Stattdessen wird sich weiter auf einfache Ursache-Wirkung-Schemata konzentriert. Fragt man die derzeit gehypten KI-Systeme nach einem ganzheitlichen Verständnis, stellt man fest, dass von dort keine Antwort kommt. Wie denn auch? Niemand hat bisher etwas dafür programmiert.
Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Humane Wirtschaft“.