Jagd nach dem Code

Im großen Stil sollen Genomdaten von Millionen von Spezies entschlüsselt und in einer Earth Bank of Codes gespeichert werden. Dabei geht es nicht allein um einen Zugewinn an Wissen, sondern auch um dessen Kontrolle.
Was lange unvorstellbar schien, ist nun in Gang gekommen. Von öffentlichen Debatten begleitet, werden geraubte Kulturgüter in die Herkunftsländer zurückgegeben. Die wachsende Einsicht in die Verbrechen der Kolonialzeit lässt hoffen. Das Unrecht aber ist noch immer wirksam. Auch heute noch werden die Länder des Südens übervorteilt.
Unfaire Handelsabkommen sorgen dabei nicht nur für die Verlängerung des Armutsgefälles, sondern auch für einen fortgesetzten Raubbau an der Natur. Der Verlust, der damit einhergeht, ist unermesslich. Rund zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten leben in den Tropenwäldern. Schon heute liefern pflanzliche Ressourcen aus dem Süden begehrte Grundstoffe für Medikamente und Nahrungsmittel, und vieles spricht dafür, dass mit dem Ende des fossilen Zeitalters das Interesse an einer profitablen Verwertung der biologischen Vielfalt zunehmen wird. Deshalb ist es gut, dass die 1993 in Kraft getretene Biodiversitätskonvention inzwischen um ein Protokoll erweitert wurde, das eine Beteiligung der Ursprungsländer an den Vorteilen verlangt, die aus der kommerziellen Nutzung von pflanzlichen Stoffen erzielt werden.
Mit den Fortschritten in den Gen- und Informationstechnologien aber müssen heute nicht mehr pflanzliche Substanzen als solche extrahiert werden, um neue Medikamente und künftig vermehrt auch neue Nahrungsmittel zu entwickeln; es reicht, die genetischen Codes zu kennen. Im großen Stil sollen nun die Genomdaten von Millionen von Spezies entschlüsselt und in einer Earth Bank of Codes gespeichert werden. Dabei geht es nicht allein um einen Zugewinn an Wissen, sondern auch um dessen Kontrolle. Noch ist unklar, ob die „digitalisierten Sequenzinformationen“ allen zugänglich bleiben oder ob es am Ende nur ein paar wenige sein werden, die sich die Genomdaten profitabel nutzbar machen.
Vor allem die großen multinationalen Pharma- und Nahrungsmittelkonzerne, die längst den gesamten Prozess der Entwicklung neuer Produkte vom Labor bis zu ihrer Vermarktung kontrollieren, drängen auf neue Patente.
Wie die Konzentration der Macht über die Daten verhindert werden kann, soll Ende April auf einer Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention geklärt werden. Es wäre ein Jammer, wenn die Rückgabe geraubter Kulturgüter zum Feigenblatt für fortgesetzten Raub an Wissen würde.
Der Autor war viele Jahre lang Geschäftsführer von Medico International.