Der Patient China ist angeschlagen

Chinas Wirtschaft leidet an den Corona-Folgen. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
In einem gesundheitspolitischen Vabanque Akt ohnegleichen hatte die chinesische Führung Anfang des Jahres die Null-Covid Politik aufgegeben und einen ‚Tsunami‘ von Infektionen zugelassen. Was hat sie motiviert, angesichts der Tatsache, dass diese Politik stets als eine der Errungenschaften der Führung Xi Jinpings kommuniziert wurde? Die Kehrtwende zeigt, wie ernst inzwischen die wirtschaftliche Schieflage gesehen wird. Die Null-Covid Politik hatte in Verbindung mit den zunehmenden geopolitischen Verwerfungen dazu geführt, dass weltweit die Investoren ihr Engagement in und mit China überdenken, mit negativen Folgen für seine Rolle in den globalen Produktionsketten.
Doch sind diese externen Faktoren nur sekundär. Nicht nur Investoren, sondern auch Chinesen nutzen die plötzliche Öffnung, um Kapital aus dem Land zu transferieren, etwa bei Auslandsreisen: Es häufen sich die Berichte, dass Auszahlungen chinesischer Banken im Ausland verzögert werden.
Das zentrale Problem der chinesischen Wirtschaft ist der staatskapitalistische Virus der Insolvenz. In den letzten 20 Jahren hat sich in China eine Finanzialisierung der Staatswirtschaft vollzogen, wie sie aus den früheren sozialistischen Volkswirtschaften unbekannt ist. Im Zentrum stehen Investmentfonds der lokalen Gebietskörperschaften, die ihre öffentlichen Eigentumsrechte am Land nutzen, um Infrastruktur und Immobilienprojekte abzusichern. Das Problem ist seit Jahren bekannt, hat sich aber durch die Covid Rezession drastisch verschärft.. Es geht um eine klassische Finanzkrise im Immobiliensektor, mit dem Unterschied, dass nicht Banken, sondern staatskapitalistische Fonds im Zentrum des Orkans stehen. Das Problem zieht seine Kreise, denn die Gebietskörperschaften aller Ebenen sind auch aktiv im Bereich der Investmentfonds und sogar der staatskapitalistischen Variante des Venture Kapital Geschäfts:
Der chinesische Staat ist omnipräsent als Investor in jenen High-Tech Bereichen, in denen sich China an die Weltspitze setzen will. In der Vergangenheit ist es China immer wieder gelungen, finanzielle Verwerfungen in der Staatswirtschaft aufzufangen, da das Wirtschaftswachstum ungebrochen war. Der Patient ist heute in geschwächter Verfassung. Gesunder Pessimismus scheint angebracht.
Der Autor ist Volkswirt und Professor und Fellow am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt.