Behutsame Annäherung

Nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens in Äthiopien möchte die EU die Entwicklungszusammenarbeit langsam normalisieren. Dabei dürfen aber die Kriegsverbrechen nicht ausgeblendet werden. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Für Außenministerin Annalena Baerbock ist klar: Es ist wichtig, dass Europa in Äthiopien „schnell Gesicht zeigt“. Das sagte sie im Januar bei ihrem Besuch in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Einige Wochen zuvor hatten die äthiopische Regierung und die Volksbefreiungsfront von Tigray ein Friedensabkommen unterzeichnet und damit ihren seit zwei Jahren dauernden Krieg im Norden des Landes beendet. In den Kämpfen wurden Hunderttausende Menschen getötet, verletzt oder vertrieben. Als Folge hatten die Europäische Union und andere westliche Geber ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Addis Abeba weitgehend eingestellt und sich auf humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung beschränkt.
Jetzt schweigen die Waffen in Tigray, und die EU will den Draht zur äthiopischen Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed wiederherstellen. Die EU sei „stark interessiert“, die Zusammenarbeit wieder zu verstärken, sagte Baerbock in Addis Abeba. Möglicherweise fassen die EU-Außenminister schon beim nächsten Treffen im März Beschlüsse dazu. Die Eile hat nicht zuletzt politische Gründe: Äthiopien ist ein strategisch wichtiges Land am Horn von Afrika, und Brüssel fürchtet, China und Russland könnten Europa hier wirtschaftlich und politisch den Rang ablaufen.
Es ist aber riskant, die Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien zu schnell wieder hochzufahren. Denn das könnte von der äthiopischen Regierung als nachträgliche Belohnung für ihre brutale Kriegstaktik verstanden werden. Monatelang hatte Addis Abeba die abtrünnige Provinz von humanitärer Hilfe abgeschnitten. Zudem löst das Friedensabkommen keines der strukturellen Probleme des Landes, die letztlich den Krieg verursacht haben. Unterstützt Brüssel die Regierung jetzt zu schnell zu stark, könnte das schwelende Konflikte in Äthiopien zusätzlich befeuern.
Die EU-Kommission will die Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien „schrittweise normalisieren“, wenn das Friedensabkommen weiter verwirklicht wird. Dazu gehört, dass Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Das klingt ehrenwert. Aber werden die EU und ihre Mitglieder sich daran halten? Es wäre nicht das erste Mal, dass Europa die Werte, auf die es sich gern beruft, in der Außenpolitik vergisst.
Der Autor ist Redakteur beim entwicklungspolitischen Magazin „Welt-Sichten“ (www.welt-sichten.org).