Aufbruch für die Zivilgesellschaft

Gemeinnützige Vereine sollen sich in Zukunft auch politisch engagieren dürfen. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Wenn ich dieser Tage durch die Stadt gehe, zieht der Duft von Weihnachtsgebäck durch die Straßen. Oft gönne ich mir eine Tüte gebrannte Mandeln. Ich bin damit nicht alleine: Rund ein halbes Kilogramm Weihnachtssüßigkeiten naschen wir laut Marktforschung im Schnitt im Dezember. Aber wir gönnen uns in der Adventszeit nicht nur selbst etwas, sondern wir zeigen uns auch anderen gegenüber spendabler. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat berechnet, dass die Deutschen im Dezember im Vergleich zu den anderen Monaten des Jahres mehr als doppelt so viel an gemeinnützige Vereine spenden – 2020 waren das rund 1,1 Milliarden Euro.
Diese Großzügigkeit sichert die Arbeit von gemeinnützigen Vereinen. Egal, ob das Nachbarschaftscafé für Bedürftige um die Ecke, der Sportclub, der Klima- oder der Tierschutzverein: Sie alle sind auf Spenden angewiesen. Jedoch mussten viele Vereine bisher um diese Gelder bangen, wenn sie sich für ihre Ziele auch politisch engagierten. Denn hier waren die Vorschriften für Finanzämter bislang strikt: Wenn politisches Engagement, dann nur minimal. Um ihre Existenz nicht zu bedrohen, schweigen daher einige Vereine lieber, als politisch aktiv zu sein. Dabei bilden sie das Rückgrat für eine lebendige Zivilgesellschaft, die wiederum die Basis für eine funktionierende Demokratie formt.
Die Ampel-Regierung kündigt nun an, hier Rechtssicherheit zu schaffen. Vereine wie das Nachbarschaftscafé sollen sich für ihre Satzungszwecke auch politisch einbringen dürfen; etwa durch Aktionen, Petitionen oder im direkten Austausch mit Politikerinnen und Politikern. Der Sportclub darf sich einer Mahnwache gegen Antisemitismus anschließen. Seine Gemeinnützigkeit gerät dadurch nicht in Gefahr – ein wichtiger Schritt, um politisch aktive Vereine zu schützen.
Eine Unsicherheit bleibt: Die Ampel-Koalition bekennt sich nicht dazu, dass die Arbeit für Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit auch gemeinnützig werden. Das ist angesichts der aktuellen Entwicklungen, mit denen sich Deutschland und Europa konfrontiert sieht, sehr fragwürdig. Es bleibt zu hoffen, dass dies im Verlaufe der anstehenden Reform des Gemeinnützigkeitsrechts nachgeholt wird. Dann liegt bald nicht nur der Duft von Weihnachtssüßigkeiten in der Luft, sondern auch echte Aufbruchsstimmung für die Zivilgesellschaft.
Die Autorin ist Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Campact.