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Schlanker Staat
An der falschen Stelle gespart
- vonDierk Hirschelschließen
Nur ein handlungsfähiger Staat blamiert sich in der Pandemie nicht.
Der Unmut über die Berliner Corona-Politik wächst. Pleiten, Pech und Pannen häufen sich. Lange Zeit fehlten Masken, Schutzanzüge und Desinfektionsmittel. Gesundheitsämter konnten nicht mehr ermitteln, wer wen angesteckt hat. Soloselbstständige und Unternehmer warteten wochenlang auf Hilfsgelder. Millionen Schüler und Eltern leiden unter Lehranstalten, die mit digitalen Lernräumen überfordert sind. Und republikweit mangelt es an Impfstoff und Schnelltests.
Liberale Ökonomen und Politiker klagen bereits über strukturelles Staatsversagen. Das ist Quatsch. Ohne Sozialstaat und staatliche Konjunkturpolitik wäre die heimische Wirtschaft kollabiert: Kurzarbeit sicherte Millionen Arbeitsplätze und ein Konjunkturpaket kurbelte die Wirtschaft an.
Staatliches Handeln ist aber nicht voraussetzungslos. Wenn Gesundheitsämter, Schulen und Verwaltung keinen guten Job machen, liegt das nicht an ihrer vermeintlich inkompetenten und ineffizienten staatlichen Organisation. Nach jahrzehntelanger Zwangsdiät fehlt vielen öffentlichen Einrichtungen schlicht das notwendige Personal und eine zeitgemäße technische Ausstattung. Im öffentlichen Dienst wurde in den letzten 30 Jahren fast ein Drittel des Personals abgebaut, in den Gesundheitsämtern jede dritte Arztstelle gestrichen und das Fax ersetzt bis heute das Internet. In den Schulen fehlen tausende Lehrkräfte. Von einer flächendeckenden Versorgung der Schüler und Lehrer mit Laptops ganz zu schweigen. Dieser schlanke Staat kann sich leicht blamieren.
Doch damit nicht genug. Ein auf Profit getrimmtes Gesundheitswesen verschlechterte die Versorgungsqualität und baute Krisenpuffer ab. Deswegen mangelte es nach Pandemieausbruch an Intensivbetten, Beatmungsgeräten, Masken und Schutzkleidung. Und last but not least sparte die EU-Kommission bei der Impfstoffbeschaffung an der falschen Stelle und förderte nicht frühzeitig den Ausbau der Impfstoffproduktion. Das ist schlechte Politik, aber kein strukturelles Staatsversagen.
Als zentrale Lehre aus Pandemie müssen öffentliche Krankenhäuser, Gesundheitsämter, Schulen und Verwaltung zukünftig personell, technisch und finanziell besser ausgestattet werden. Die Daseinsvorsorge muss gestärkt und die Profitlogik im Gesundheitswesen zurückgedrängt werden. Nur ein handlungsfähiger Staat blamiert sich nicht.
Der Autor ist Chefökonom der Gewerkschaft Verdi. Im Juli ist von ihm das Buch „Das Gift der Ungleichheit“ erschienen.