Wohin mit radioaktivem Wasser aus Fukushima? Japans Antwort: in den Ozean
Seit Jahren streitet Japan mit seinen Nachbarn, ob das verstrahlte Kühlwasser von Fukushima ins Meer geleitet werden darf. Nun wird ein Gutachten erstellt.
Fukushima – Die Atomruine von Fukushima wird allmählich zu einem Wasserpark. Seit vor fast elf Jahren das Atomkraftwerk an der japanischen Nordostküste havarierte, müssen die betroffenen Reaktoren laufend mit Kühlwasser versorgt werden. Doch was einerseits noch größere Schäden vermieden hat, sorgt andererseits für einen derartigen Platzmangel, dass sich Japans Regierung schon seit Jahren fragt: Wohin mit dem verbrauchten Wasser?
Die kontroverse Antwort, die schon vergangenen April endgültig verkündet wurde: in den Ozean. Was den japanischen Krisenmanagern als einzige logistisch praktikable Möglichkeit erschien, sorgte international schnell für Aufregung. Nicht nur Umweltschutzorganisationen verurteilen den Schritt als verantwortungslos, weil auf diese Weise Tieren wie Pflanzen im Meer und daher dem gesamten Ökosystem geschadet werde. Auch Japans Nachbarstaaten China und Südkorea haben das Vorhaben deutlich kritisiert.

Radioaktives Kühlwasser aus Fukushima: IAEA soll Bedenken zerstreuen
Nun bemüht sich die japanische Regierung um Streitschlichtung – allerdings nicht etwa, indem die Pläne geändert werden, sondern durch ein Gutachten von oberstem Rang. Fachleute der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sind von diesem Montag bis Donnerstag in Tokio und Fukushima vor Ort, um sich die Pläne und Vorkehrungen anzusehen und dann ein Gutachten zu erarbeiten. Die IAEA gibt an, Japans Regierung habe „die Unterstützung der IAEA angefragt, um sicherzustellen, dass das Vorhaben im Rahmen internationaler Sicherheitsstandards erfolgt, ohne der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt zu schaden“.
Am 11. März 2011, als Japan zuerst von einem Erdbeben mit der Stärke von 9,0 erschüttert und kurz darauf die Nordostküste von einem 20 Meter hohen Tsunami überschwemmt wurde, erlitt das am Meeresufer erbaute Atomkraftwerk Fukushima Daiichi einen GAU. Durch die sogenannte Dreifachkatastrophe, der schwersten Japans jüngerer Geschichte, starben rund 20 000 Menschen, Hunderttausende verloren ihr Zuhause. Bis heute bleiben ganze Orte evakuiert. Und für die Kühlung der Atomruine fallen täglich 140 Tonnen Wasser an, die bisher in mehr als 1000 Tanks auf dem Gelände gelagert werden.
Ehe das Wasser in den Ozean geleitet werden soll, wird es mit einer Technologie namens ALPS gefiltert. Hierfür plant die Betreiberfirma Tepco einen rund einen Kilometer langen Tunnel auf dem Meeresboden, durch den das gefilterte Kühlwasser verklappt werden soll. Streit besteht unter anderem um die Qualität des Filterprozesses. Denn während viele schädliche Stoffe herausgefiltert werden können, gelingt dies nicht gleichermaßen mit dem radioaktiven Tritium. Tepco argumentiert, die geringen übrigen Mengen seien nicht schädlich, zumal wenn das Wasser noch verdünnt werde.
Fukushima: Atomenergiebehörde gilt als eher wohlwollend
Von der IAEA soll auch hierzu eine vermeintlich unabhängige Einschätzung kommen. Dabei ist nicht zu erwarten, dass die IAEA zu einem Urteil gelangen wird, dass allzu kritisch ausfällt. Die Institution, die seit 1957 eine beratende Funktion bei den Vereinten Nationen einnimmt, soll laut ihrer Satzung „den Beitrag der Atomenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand auf der ganzen Welt“ beschleunigen und vergrößern. Es handelt sich insofern um eine Organisation, deren Herangehensweise an Themen rund um die Atomkraft als eher wohlwollend gilt.
Japanische Wissenschaftler, die mit der IAEA zusammenarbeiten, sind schon länger von der Idee überzeugt, das behandelte Wasser in den Ozean abzulassen. Auf die Frage, ob etwa das Surfen vor der Küste Fukushimas gefährlich sei, sagte Akashi Makoto vom Nationalen Institut für Strahlenforschung, dass sich selbst radioaktives Wasser im Meer derart schnell vermische, dass die Konzentration nur noch sehr gering sei. So sei die Strahlung, die von der Sonne ausgehe, riskanter.
Verstrahltes Kühlwasser aus Fukushima: Fischereiverbände fürchten Imageschaden
Dabei geht es bei der Kontroverse nicht nur um die tatsächlichen Gefahren, sondern auch um die wahrgenommenen. So setzen sich Fischereiverbände an der japanischen Küste seit Jahren gegen die Meeresverklappung ein, weil sie einen Imageschaden für ihre Fänge befürchten. Während die EU mittlerweile wieder Lebensmittelimporte aus Fukushima und den angrenzenden Präfekturen erlaubt, gelten die nach dem Atom-GAU von China und Südkorea verhängten Importstopps weiterhin. Taiwan hob seine erst diesen Monat auf.
Im Frühjahr 2023 soll damit begonnen werden, das gefilterte Kühlwasser in den Ozean zu leiten. Dass ein Gutachten von der IAEA die Wogen zwischen Japan, den Nachbarstaaten, Umweltorganisationen und den Fischereiverbänden in Fukushima glätten wird, ist allerdings eher unwahrscheinlich. (Felix Lill)