Werbung für Deutschland

Der Job hat Komal Gaikwad nach Frankfurt gebracht. Nun erklärt die indische Influencerin ihren Landsleuten die neue Heimat – und die ist nicht nur des Geldes wegen attraktiv.
Sie gehören zu den Fachkräften, nach denen Deutschland händeringend sucht: Komal Gaikwad und ihr Ehemann Saurabh Bhardwaj sind 2018 von Indien nach Frankfurt am Main gezogen, wo die beiden IT-Fachleute seitdem arbeiten. In ihrer Freizeit wird aus Komal die Influencerin Foreign Ki Duniya (auf Deutsch in etwa: ausländische Welt). Ihre Videos über Leben und Arbeiten in Deutschland werden millionenfach geklickt, vor allem, aber nicht nur von Inder:innen. Darin geht es um grundsätzliche Fragen wie die, mit welchen Gehältern Fachkräfte hier rechnen können, aber auch um kulturelle Eigenheiten, die Inder zum Staunen bringen – zum Beispiel, dass Deutsche in der Sauna nackig sind und in der Öffentlichkeit Bier trinken.
Vor der berühmten Frankfurter Euro-Skulptur nimmt die 33-Jährige an diesem Frühlingssonntag ihr neues Video auf. Die Technik besteht aus nicht mehr als einem Ansteckmikro und einem iPhone, mit dem Ehemann Saurabh (36) filmt. Komal trägt Stiefel, einen Rock über schwarzen Leggins und einen dunklen Mantel. Im Takt eines Maschinengewehrs erklärt sie auf Hindi, wie die Chancen stehen, dass man in Deutschland einen englischsprachigen Job bekommen könne.
Seit rund zwei Jahren ist die Inderin als Deutschland-Erklärerin in sozialen Medien unterwegs. Auf Youtube folgen ihr inzwischen mehr als 114 000 Menschen, mehr als 231 000 sind es auf Instagram. Den Rekord hält ein Kurzvideo von einer Tankstelle mit mehr als 17 Millionen Abrufen. Komal führt darin vor, wie man den Wagen in Deutschland selbst mit Sprit befüllt. Sie erklärt, dass man erst danach an die Kasse gehen muss – und dass trotzdem niemand einfach davonfährt. In Indien wird die Zapfsäule von einem Tankwart bedient, der sofort abkassiert.
Indien wirkt auf Deutsche exotisch, umgekehrt gilt das genauso. „Schockiert“ seien sie gewesen, als ihnen bei einem Ausflug ein Bademeister gesagt habe, dass sie ihren Körper in der Sauna nicht mit Handtüchern bedecken dürften, sagt Komal. Saurabh erklärt, in Indien zögere man schon, bekleidete Angehörige des anderen Geschlechts direkt anzublicken. Es ist nicht der einzige Kulturschock. Wenn er mit 160 Stundenkilometern auf der Autobahn überholt werde, sei er immer noch unsicher, ob er zu langsam oder der andere zu schnell fahre, erzählt Saurabh. Seine Ehefrau sagt, dass in Indien Menschen in der Öffentlichkeit Alkohol tränken, sei „unvorstellbar“.
Komal sagt, als Reaktion auf ihre wöchentlichen Videos erreichten sie jeden Tag zwischen zehn und 20 E-Mails von Indern und Inderinnen, die ernsthaft an Deutschland interessiert seien. Es handele sich vor allem um zwei Gruppen: einerseits Studierende, die in Deutschland ein Master-Studium auf Englisch absolvieren könnten, ohne die horrenden Kosten zu bezahlen, die dafür in den USA oder Großbritannien fällig würden. Andererseits Fachkräfte, bei denen sich nur langsam die Erkenntnis durchsetze, dass Deutschland eine echte Alternative sei.
Anders als früher sei der Antrieb für indische Fachkräfte nicht mehr das Geld, sagt Komal. In Indien würden für IT-Fachleute mit entsprechender Erfahrung inzwischen ähnliche Gehälter gezahlt wie in Deutschland – bei niedrigeren Steuern und Lebenshaltungskosten. „Der wichtigste Grund, warum Fachkräfte mir sagen, dass sie nach Deutschland kommen wollen, ist die Work-Life-Balance“, erklärt Komal. „Hier arbeite ich von 9 bis 18 Uhr, dann mache ich den Laptop zu und habe Privatleben. In Indien sitzt du bis Mitternacht am Computer. Hier hast du 30 Tage Urlaub im Jahr. In Indien würde ich mich während eines laufenden Projekts nicht einmal trauen, eine Woche Urlaub zu nehmen.“
Seit mehr als zwei Jahrzehnten versucht Deutschland, IT-Fachkräfte nach Deutschland zu locken. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) rief bereits im Jahr 2000 eine sogenannte Green-Card-Initiative aus. Im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen machte der damalige CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers daraus eine „Kinder statt Inder“-Kampagne, womit er dem Image des Standorts Deutschland keinen Gefallen tat. Die deutsche Wirtschaft hatte auf die Besetzung von 50 000 bis 75 000 IT-Stellen gehofft. Stattdessen wurden bis zum Auslaufen des Programms Ende 2004 gerade einmal etwas mehr als 17 000 Arbeitserlaubnisse erteilt.
„Die größte Herausforderung ist die Sprache“, sagt Komal. „Ich sage allen: Bitte lernt Deutsch, wenn ihr nach Deutschland kommen wollt.“ Zwar gebe es eine begrenzte Anzahl an Jobs, bei denen nur Englischkenntnisse nötig seien. Der Alltag sei damit aber schwierig zu bewältigen. Im Supermarkt seien Waren lediglich auf Deutsch beschriftet, selbst in der Frankfurter Ausländerbehörde könne oder wolle in der Regel niemand Englisch sprechen. Wegen der Sprachproblematik blieben die USA, Großbritannien und Kanada attraktiver. Komal und Saurabh sprechen beide Deutsch, ihnen gehen Wörter wie „Niederlassungserlaubnis“ mühelos von den Lippen. Rassismus empfinden sie übrigens nicht als Problem, das Thema erwähnen sie überhaupt nur auf Nachfrage.
Anders als die beiden Eheleute hat der indische IT-Experte Bhushan Khandelwal erfolglos versucht, in Frankfurt heimisch zu werden. Er hat sich von seiner Firma nach London versetzen lassen. „Ich kann kein Deutsch“, sagt er zur Begründung. „Es ist sehr schwierig, ohne Sprachkenntnisse mit Deutschen Umgang zu haben. Hier in London fangen Briten im Pub sofort ein Gespräch an.“ Noch ein Punkt habe Frankfurt für ihn unattraktiv gemacht: „Ich esse gerne“, sagt der 30-Jährige. „In Frankfurt gibt es einen einzigen Laden, in dem man indische Gewürze und indisches Gemüse bekommt. Hier kriege ich das an jeder Ecke.“ Auch Komal erzählt, zu den Fragen, die ihr am häufigsten gestellt würden, gehöre die, wie es in Deutschland um indisches Essen bestellt sei.
Die Organisation Internations fühlt Expats – also Menschen, die im Ausland leben und arbeiten – einmal im Jahr in einer großen Umfrage auf den Puls. Das ernüchternde Ergebnis: Deutschland liegt auf Platz 42 von 52 untersuchten Staaten. Das „niederschmetternde Urteil“ sei vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen, berichtet Internations: die Wohnungsnot, die schwierige Sprache und die mangelnde Digitalisierung. Zu Letzterem zählt auch die Möglichkeit, bargeldlos zu bezahlen. „Wir leben hier im digitalen Steinzeitalter“, meint Saurabh, der ansonsten bekennender Deutschland-Fan ist. In Indien könne man sogar Rikschafahrten per Handy begleichen.
Deutschland habe die Tendenz, die eigene Attraktivität zu überschätzen, meint ein deutscher Unternehmensberater, der anonym bleiben möchte. „Wir müssten Anreize schaffen, vielleicht so etwas wie ein Begrüßungsgeld. Oder wir müssten Menschen haben, die ausländische Fachkräfte nach der Ankunft an die Hand nehmen, die deren Sprache sprechen und sie durch die Bürokratie geleiten. Das wäre echte Willkommenskultur.“ Der Berater ist überzeugt, dass eine solche Willkommenskultur im deutschen Interesse wäre. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg zum Propheten kommen. Dann wird die Fabrik eben ins Ausland verlegt.“
Trotz der Schwierigkeiten hat Deutschland in Indien in den vergangenen Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen. Nach der deutschen Green Card wurde 2012 EU-weit eine sogenannte Blue Card eingeführt. Voraussetzung für eine solche Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind ein Hochschulabschluss und ein Jobangebot mit einem Bruttojahresgehalt von mindestens 56 400 Euro, in Mangelberufen wie im IT-Bereich liegt die Grenze bei knapp 42 000 Euro. Auch Komal und Saurabh sind auf diesem Weg nach Deutschland gekommen – völlig unkompliziert, wie sie sagen.
Nach den jüngsten Statistiken stammen die meisten ausländischen Menschen, die Ende 2021 mit einer Blue Card in Deutschland gearbeitet haben, aus Indien. Zu diesem Zeitpunkt lebten knapp 172 000 Inderinnen und Inder in Deutschland, mehr als drei Mal so viele wie zehn Jahre zuvor. Noch deutlicher ist der Zuwachs unter Studierenden: Lagen die damals knapp 6000 Inder:innen 2011/2012 noch auf Platz elf der ausländischen Studierenden, sind sie nun nach Menschen aus China und der Türkei auf den dritten Rang aufgestiegen. Gut 34 000 Inderinnen und Inder studierten im Wintersemester 2021/2022 hier. Die Hoffnung ist, sie nach ihrem Abschluss als Fachkräfte in Deutschland zu halten.
„Es ist durchaus möglich, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren zwischen 50 000 und 60 000 Studierende aus Indien in Deutschland haben werden“, sagt der deutsche Botschafter in Neu Delhi, Philipp Ackermann. „Es gibt ein radikal anwachsendes Interesse an Studien in Deutschland, besonders im naturwissenschaftlichen Bereich.“ Viele Studierende entschieden sich ganz bewusst für Deutschland. „Ein echter Standortvorteil ist, dass bei uns die Hochschulausbildung so günstig ist.“ Bei der akademischen Prüfstelle der Botschaft lägen rund 24 000 Bewerbungen für Deutschland, vorwiegend für die nächsten zwei Semester.
Komal ist inzwischen so bekannt, dass Ackermann die Influencerin bei ihrem letzten Heimaturlaub im Januar in die Botschaft in Neu Delhi eingeladen hat. Sie und ihr Ehemann Saurabh wissen noch nicht, wie lange sie in Deutschland bleiben wollen. „Im Moment sind wir glücklich hier“, sagt Saurabh, der schon als Student in Neu Delhi Deutsch gelernt hat. Er glaubt, dass er womöglich schon damals nach Deutschland gekommen wäre, wenn er gewusst hätte, welche Möglichkeiten sich hier böten. Komal sagt, das sei ein Grund dafür, warum sie die Videos drehten, für die sie von niemandem bezahlt würden: „Wir wollen zeigen, dass es ein Land ist, das man in Betracht ziehen kann. Wir versuchen aber, alle Seiten darzustellen. Nicht für jeden ist Deutschland das richtige Land.“
Ein Thema, das in vielen Gespräch mit Menschen aus dem Ausland eine Rolle spielt: das Wetter in Deutschland. „Das ist im Winter immer noch eine Herausforderung und manchmal ein bisschen deprimierend“, sagt Saurabh. Eine Strategie der beiden Inder gegen die Winterdepression: Zum Hindu-Lichterfest Diwali, das im Oktober oder November gefeiert wird, bauen sie ihren deutschen Weihnachtsbaum auf, den sie dann schmücken. Abgebaut wird der Baum frühestens im März, wenn die Sonne wieder länger scheint. Dass das nicht so ganz deutscher Tradition entspricht, ist Komal gleich. Sie sagt: „Wir müssen im Winter etwas für die gute Laune tun.“
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