Vergabemindestlohn: Ein Push für faire Löhne

In vielen Bundesländern sind Tarifverträge eine Bedingung für öffentliche Aufträge.
Soll die Politik festlegen, wie viel Geld Beschäftigte in Privatunternehmen verdienen? Die Frage bewegt Baden-Württemberg. Die SPD im Stuttgarter Landtag will durchsetzen, dass nur noch Firmen öffentliche Aufträge erhalten, die einen Tarifvertrag anwenden.
Die baden-württembergischen Sozialdemokraten schlagen vor, dass bei öffentlichen Aufträgen ein Mindestlohn von 13,13 Euro pro Stunde gelten solle. Das wäre deutlich mehr als der Mindestlohn von derzeit zwölf Euro. Diesen sogenannten Vergabemindestlohn müssten alle privaten Unternehmen zahlen, die staatliche Aufträge im südwestlichen Bundesland annehmen. Gleichzeitig sollen sich die Firmen unter anderem bei der Bezahlung der Beschäftigten an die Tarifverträge der jeweiligen Branche halten, auch wenn sie selbst keiner solchen Regelung unterliegen.
Kommt das Gesetz durch, gilt es beispielsweise für Busfahrerinnen und Fahrer privater Verkehrsunternehmen, Gebäudereiniger, Köchinnen und Köche in Betrieben, die Schulessen zubereiten, oder auch für sämtliche Baufirmen, die staatliche Gebäude errichten und reparieren. Thüringen, Berlin und das Saarland haben ähnliche Gesetze schon beschlossen. Entwürfe und Vorbereitungen dafür gibt es in weiteren Bundesländern, darunter Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Vergabemindestlohn: Immer mehr Länder setzen auf ihn
Auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung auf Bundesebene ist das Vorhaben verzeichnet. Dort heißt es: „Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden.“ Einen entsprechenden Entwurf hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für dieses Jahr angekündigt.
Eigentlich haben Staat und Politik hierzulande keinen Einfluss auf die Löhne in Privatwirtschaft. Unter der Überschrift der Tarifautonomie werden sie von den Sozialpartnern festgelegt – das sind die Unternehmen und ihre Verbände einerseits, andererseits die Beschäftigten und die Gewerkschaften. Doch immer weniger Unternehmen schließen Tarifverträge ab. Und fast alle Gewerkschaften verlieren Mitglieder, womit ihre Durchsetzungsfähigkeit nachlässt.
Kritik an Vergabemindestlohn von Unternehmen
Seit Jahren nimmt die Tarifbindung ab. Nur noch für 45 Prozent der Beschäftigten in den westdeutschen Ländern galt 2021 ein Flächentarifvertrag, für 34 Prozent in Ostdeutschland. 1996 waren es 70 Prozent und 56 Prozent. So berichtete es das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.
Momentan unterliegt ein Viertel der Unternehmen einem Tarifvertrag, für drei Viertel gilt das nicht. Wobei sich der Befund etwas relativiert, wenn man auf die indirekte Tarifbindung blickt. Laut IAB orientiert sich bundesweit etwa die Hälfte der tariflosen Firmen zumindest an einem Tarifvertrag – sie übernehmen freiwillig beispielsweise einzelne Regelungen. Die direkte und indirekte Tarifbindung summiert sich so auf 60 Prozent.
Tarifbindung nimmt ab
Trotzdem verlangen die Gewerkschaften Hilfe von der Politik. Das wichtigste Argument: Sonst würden sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu sehr verschlechtern. Die Regierungen sind dem teilweise nachgekommen. So wurde der bundesweite Mindestlohn eingeführt. Und nun geht es um Tariftreuegesetze wie aktuell in Baden-Württemberg.
Was dort herauskommt, ist offen. Die Verschärfung des existierenden Gesetzes steht zwar im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU. Doch Alexander Zeyer, der Sprecher der CDU-Fraktion, sagte: „Der Gesetzesentwurf der SPD-Landtagsfraktion wird von den Koalitionsfraktionen keine Unterstützung im Parlament finden.“
„Wir sind keine schwarzen Schafe“
Wirtschaftsverbände kritisieren das Vorhaben grundsätzlich. Unternehmen, die sich „nicht an das komplizierte tarifliche Regelwerk halten wollen, sind keine schwarzen Schafe und sollten auch nicht so behandelt werden“, erklärte Christoph Münzer, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden. Die meisten Betriebe in seinem Verband unterliegen keinem Tarifvertrag. Sie zahlten aber trotzdem ordentliche Löhne, betonte Münzer.
Die Industrie- und Handelskammer Stuttgart warnt davor, dass Unternehmen kein Interesse mehr daran hätten, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Durch die strengeren Vorgaben würden die staatlichen Aufträge außerdem teurer. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände lehnt Minister Heils Projekt auf Bundesebene ebenfalls ab.
Doch die Wirtschaftsverbände haben in dieser Frage starke Gegner – nicht nur viele Landesregierungen und die Berliner Ampelkoalition. Auch die Europäische Union will die Tarifverträge stärken. Wenn ein Mitgliedsland eine Tarifbindung von weniger als 80 Prozent aufweist, soll die Politik dem entgegenwirken. Tariftreuegesetze sind ein Mittel dafür.