Selbstständigkeit: Familienplanung als Wirtschaftsrisiko

Die Zeit einer Schwangerschaft ist gesetzlich besonders geschützt. Doch für Selbstständige gilt vieles nicht, was für Angestellte normal ist. Die Initiative „Mutterschutz für Alle“ möchte das ändern.
Sobald eine Schwangerschaft im Arbeitsumfeld bekannt wird, startet normalerweise auf Seiten der Angestellten und der Arbeitgeber:innen die Planung des Mutterschutzes. Betriebliche Beschäftigungsverbote werden geprüft, oftmals wird eine Vertretung gesucht für die Schutzzeit vor und nach dem errechneten Geburtstermin und einer eventuell anstehenden Elternzeit darüber hinaus. Die Regelungen des Mutterschutzgesetzes sind in Unternehmen meist bekannt und routiniert, zumindest ab einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitenden.
Anders ist es für Schwangere, die nicht angestellt, sondern selbstständig tätig sind. Denn für alle, die einen eigenen Betrieb mit Mitarbeitenden führen oder als Soloselbstständige alleine arbeiten, gilt der gesetzlich verankerte Mutterschutz nicht. Das bedeutet: Schwangere müssen in der Selbstständigkeit theoretisch bis zum Tag der Entbindung arbeiten, falls sie nicht privat finanziell vorsorgen und sich eine Vertretung für eine gewisse Zeit organisieren können. Das möchte die Initiative „Mutterschutz für Alle“ ändern. Entstanden ist die Initiative aus einer Petition heraus, in Gang gesetzt von Johanna Röh, selbstständige Tischlerin und eine der Gründerinnen der Initiative.
Mit mehr als 100.000 Stimmen zur Petitions-Anhörung im Bundestag
Anfangs waren es vor allem Selbstständige aus handwerklichen Berufen, die sich zusammenschlossen, um eine Petition aufzusetzen, die genau das fordert, was bisher fehlt: Ein gesetzlich geregelter Mutterschutz für Selbstständige. Mittlerweile hat sich die Gruppe erweitert auf Selbständige beispielsweise aus der Pädagogik, IT, und Kreativbranche.
Zusammen sammelten sie im vergangenen Jahr mehr als 100 000 Stimmen und erreichten die Anhörung ihres Anliegens vor dem Petitionsausschuss des Bundestages. Initiatorin Johanna Röh machte dabei deutlich: „Wir sprechen für die, die hochschwanger ihren Betrieb führen und im Wochenbett wieder im Geschäft stehen müssen, weil sonst die einzige Alternative die Aufgabe ihres Betriebes ist oder sogar die Insolvenz. Für die, die sich eine Existenz aufgebaut haben, ausbilden, Arbeitsplätze schaffen, Steuern zahlen, Fachkräfte sind und dann alles riskieren, weil sie schwanger werden.“
Dabei könnte in der Selbstständigkeit eine Chance auf bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegen. So sieht es Astrid Hilt, sie ist Steinmetzin mit einem eigenen Betrieb und war von Anfang an Teil der Initiative. Die Arbeitszeiten seien flexibler und die Strukturen könnten durchaus an ein Familienleben angepasst werden, sagt Hilt. Doch erst nach der Geburt. Während der Schwangerschaft fehlt ein echtes Sicherheitsnetz. „Ich habe mich selbstständig gemacht, da hatte ich schon ein kleines Kind“, sagt Hilt. Das ist schon mehr als 20 Jahre her. Während ihrer Schwangerschaft war sie Meisterschülerin und damit auch vom gesetzlichen Mutterschutz ausgeschlossen. Heute beobachte sie immer wieder bei Kolleginnen, die schon vor dem ersten Kind selbstständig werden, dass die Zeit der Schwangerschaft enorme Risiken für deren Betriebe bedeute.
Für Mutterschaftsgeld müssen spezielle Tarife abgeschlossen werden
Zum einen ist da der finanzielle Aspekt: Schwangere können sich zwar für ein sogenanntes Mutterschaftsgeld bei gesetzlichen Krankenversicherungen freiwillig versichern lassen. Das funktioniert wie ein Krankentagegeld, muss aber immer mit Vorlauf vor dem Beginn der Schutzfrist des Mutterschutzgesetzes passieren. Der Tarif ist aber auch mit höheren Kosten und teilweise mit Karenzzeiten bis zur Auszahlung verbunden.
„Das stellt eine Ungerechtigkeit dar“, findet Alide von Bornhaupt. Die selbstständige User-Experience (UX) Designerin ist Teil der Initiative „Mutterschutz für Alle“. 2020 musste sie selbst erfahren, wie risikobehaftet eine Schwangerschaft in der Selbstständigkeit sein kann. Eine Schwangerschaft werde bei den Krankenkassen wie eine tragische Krankheit behandelt, die man selbst zu verschulden hat, sagt sie. Oftmals wüssten viele Selbstständige nichts von den Vorgaben und Fristen, die für einen Tarifabschluss eingehalten werden müssen. Sie wünscht sich ein proaktiveres Vorgehen der Krankenkassen.
Komplikationen in der Schwangerschaft bringen weitere Risiken
Und bei unerwarteten Komplikationen stehen die meisten Frauen vor noch größeren Problemen: Alide von Bornhaupt beispielsweise hatte während der Schwangerschaft mit einer Hyperemesis zu kämpfen – einer extremen Art der Schwangerschaftsübelkeit. Die schränkte sie gesundheitlich so sehr ein, dass sie von einem auf den anderen Tag praktisch arbeitsunfähig wurde. „Ich konnte nach und nach die Verantwortung für meine Projekte nicht mehr tragen, da ich nicht mehr zusichern konnte, wie der nächste Tag jeweils wird“, so die Selbständige. Sie habe im Zuge dessen ihre kompletten Rücklagen aufbrauchen müssen. „Wenn man meine Geschichte anschaut, dann weiß man, warum Altersarmut ein überwiegend weibliches Thema ist.“
Sie quälte sich durch das erste Trimester und versuchte ihre Aufträge in den wenigen Momenten, in denen sie arbeitsfähig war, zu erledigen. Dann folgte ein Krankenhausaufenthalt. „Am Ende geht es dann ja nicht nur um das Leben von meinem Kind, sondern auch um meine Gesundheit.“ Sie ärgert sich, dass eine Schwangerschaft für Selbstständige derzeit ein wirtschaftliches und gesundheitliches Risiko darstellt.
Auch fehlende Informationen vor einer Gründung bemängelt sie. Sie habe mehrere Gründungsberatungen gemacht und in keiner sei das Risiko, das eine Schwangerschaft für die Selbstständigkeit darstellen kann, erwähnt worden. „Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Selbstständigkeit muss schon bei solchen Beratungen thematisiert werden. Und nicht nur für die gebärende Person, sondern auch für Partner oder Partnerin, die selbstständig sind“, so die UX-Designerin.
Schwangerschaft darf keine Existenzbedrohung darstellen
Die Initiative fordert wegen Geschichten wie der von Alide von Bornhaupt, dass eine Schwangerschaft in keiner Phase eine Existenzbedrohung darstellen darf. „Vor allem für Selbstständige in investitionsintensiven Branchen und in körperlich arbeitenden Berufszweigen müssen Instrumente geschaffen werden, die Betriebsschließungen in der Schwangerschaft, nach der Geburt des Kindes oder in der Planung weiterer Kinder verhindern“, heißt es im Petitionspapier.
Ein Mittel ist laut der Initiative der Ausbau und die Finanzierung eines Systems von sogenannten Betriebshelfer:innen. Die werden bereits erfolgreich in der Landwirtschaft eingesetzt, um schwangere Beschäftigte zu vertreten. Aber Alide von Bornhaupt betont auch, dass die Selbstständigkeit sehr viele Facetten habe und das Prinzip der Betriebshelfer:innen nicht auf jeden Bereich passe. Es müsse auch an anderen Lösungen gearbeitet werden. „Es war ja auch interessant zu beobachten, dass während der Corona-Pandemie oftmals schnelle Lösungen gefunden wurden, um Betriebe zu retten“, ergänzt Astrid Hilt. Die Risiken, die bei einer Schwangerschaft in der Selbstständigkeit entstehen können, werden ihrer Meinung nach nicht genauso konsequent angegangen. Sie sieht eine Ungleichbehandlung von Frauen als Arbeitskräfte und Unternehmerinnen. „Die Wirtschaftskraft von Frauen wird verniedlicht“, so Hilt.
Eine Politische Debatte ist im Gang
Aber es tut sich langsam etwas in der politischen Debatte um die Erweiterung des Mutterschutzes: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat Ende vergangenen Jahres angekündigt, dass das Thema Mutterschutz für Selbstständige in den Blick genommen werden müsse. Eine Sprecherin ihres Ministeriums bestätigt auf FR-Anfrage, dass dafür derzeit „praktikable Lösungen“ erarbeitet werden. Das Ministerium trete daher für bestimmte Berufsgruppen mit den maßgeblichen Akteuren in den Austausch. „Zudem wird auch die Einführung einer zehntägigen Freistellung des selbstständig tätigen Partners beziehungsweise der selbstständig tätigen Partnerin der Frau, die vor kurzem entbunden hat, geprüft“, so eine Ministeriumssprecherin.
Die Erweiterung des Mutterschutzgesetzes auf die Selbstständigen hätte nicht nur eine echte Gleichbehandlung zur Folge, sondern könnte auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Davon sind die Mitstreiter:innen der Initiative überzeugt. Noch stehen viele Frauen vor der Entscheidung zwischen Familie und Selbstständigkeit. Dabei werden Gründerinnen händeringend gesucht.
Noch müssen sich einige gegen die Selbstständigkeit entscheiden
Im Handwerk sind Betriebsinhaberinnen, Gesellschafterinnen und Geschäftsführerinnen mit 24 Prozent in der Minderheit, so aktuelle Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Nur jede vierte Gründung erfolgt durch eine Frau. Der ZDH fordert deshalb, dass gesetzliche Regeln zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch Selbstständige einschließen müssen. Es brauche „eine funktionierende und durchdachte Absicherung während der Schwangerschaft“, sagt eine ZDH-Sprecherin auf FR-Anfrage. In der Praxis und nach aktueller Gesetzeslage bestehe eine Ungleichbehandlung zwischen abhängig Beschäftigten und selbstständigen Handwerkerinnen.
Diese Ungleichbehandlung bekommen Frauen zu spüren: „Ich glaube jede von uns kennt mindestens eine Person, die aufgrund einer potentiellen Schwangerschaft oder unklaren Familienplänen nicht gegründet hat“, so Alide von Bornhaupt. Genaue branchenübergreifende Zahlen gibt es bisher nicht, die Initiative arbeitet aber derzeit an einer Umfrage dazu. Die Forderungen, die die Initiative stellt, sind nicht einfach umzusetzen – das ist den Akteur:innen klar. Neben den Betriebshelfer:innen fordern sie unter anderem 100 Prozent des versicherten Einkommens im betrieblichen und individuellen Beschäftigungsverbot und eine Übernahme der Betriebskosten in notwendigen Fällen. Die Steinmetzin Astrid Hilt weiß aber auch: „Wenn das politisch vernünftig gemacht wird, dann ist das eine riesige Aufgabe.“
Initiative plant ein digitales Symposium
Die Beratungen für eine gesetzliche Erweiterung des Mutterschutzes sind angelaufen. Weil die Situation in den Betrieben aber angespannt ist, fordert die Initiative die Politik auf, schnellstmöglich einen Notfalltopf einzurichten. Und auch die Mitstreiter:innen selbst sind weiter aktiv: Für den 22. April planen sie ein digitales Symposium, bei dem sich Akteur:innen aus Politik und Presse mit Betroffenen und Organisationen der jeweiligen Berufsbranchen treffen, um an praktischen Lösungen zu arbeiten. Das Ziel: Einen Gesetzesänderungstext zu entwickeln, der als Vorlage an die Politik weitergereicht werden kann.