Personalmangel: Frustrierte Pflegekräfte aus dem Ausland

Vor allem in der Pflege fehlt hierzulande Personal. Helfen könnten Fachkräfte aus Ländern wie den Philippinen. Doch dort fühlt man sich kaum verstanden.
Wenn Jason Heinen von seinen Klientinnen und Klienten spricht, müsste er in Deutschland eigentlich Jubelsprünge erzeugen: „Die haben ja alle einen Bachelor, das sind vier Jahre Studium.“ Und all diese jungen Menschen bezahlten auch noch aus eigener Tasche dafür, dass sie Pflegekräfte werden. „Es kostet recht viel Geld“, sagt Heinen. „Im Jahr liegen die Gebühren bei 40 000 bis 50 000 Pesos, also ungefähr 1000 Euro.“
Jason Heinen, ein kräftiger Typ Ende 40, arbeitet für Saisy Professionals, eine Personalagentur aus Aachen mit Niederlassung in der philippinischen Hauptstadt Manila. Von dort aus vermittelt er ausgebildete Pflegekräfte nach Deutschland. Und eigentlich, so sollte man denken, müsste das Geschäft gut laufen.
Im südostasiatischen 114-Millionenland wächst die Bevölkerung so rasant, dass der heimische Arbeitsmarkt nicht annähernd alle Ausgebildeten aufnehmen kann. In Deutschland dagegen sucht man seit Jahren nach Fachkräften. 20 000 Pflegestellen sind laut der Bundesagentur für Arbeit derzeit unbesetzt. Wegen der alternden Bevölkerung dürften bis 2030 eine halbe Million Fachkräfte fehlen.
Pflegekräfte aus dem Ausland: Anerkennung der Ausbildung ist ein Problem
Aber der Vermittlungsjob bringt immer wieder Enttäuschungen. „Mit dem Bachelor aus den Philippinen können sich die Pflegekräfte nur für eine Stelle als ‚Pflegehilfskraft in Anerkennung‘ bewerben“, sagt Heinen. „Das sind praktisch Auszubildende, wenn man es so sagen darf.“ In anderen Worten: Die fertig ausgebildeten Pflegekräfte arbeiten, wenn sie nach Deutschland kommen, zunächst nur als Pflegehilfskräfte. „Damit dürfen sie im Job weniger machen und verdienen auch schlechter.“
Seit Jahren wird in Deutschland immer wieder der „Pflegenotstand“ betont. Dass aber Fachkräfte aus den Ländern, die bei diesem Problem helfen könnten, auch wie eine dringend notwendige Hilfe behandelt werden, scheint nicht der Fall zu sein. Das ist jedenfalls der Eindruck von Joyce. Die 30-jährige Filipina steht kurz vor ihrem Abflug nach Deutschland, um in einem Krankenhaus in einer Großstadt zu arbeiten.
Arbeitsmarkt: Viele Hürden für ausländische Fachkräfte
Aber die Vorbereitungen ziehen sich: „Im Jahr 2020 habe ich mit dem Deutschlernen angefangen“, sagt sie mit gestresstem Blick. „Dann dauerte es fünf Monate, bis ich mittlere Sprachkenntnisse hatte. Damit das so schnell ging, habe ich aber meinen Job aufgegeben und in Vollzeit Deutsch gelernt.“ Joyce, die ihren wahren Namen nicht in den Medien sehen will, um es sich bei ihrem neuen Job nicht zu verscherzen, fühlt sich wenig wertgeschätzt, wie sie sagt.
Sie ist nämlich nach Jahren des Lernens, Bewerbens und Dokumenteausfüllens noch immer nicht in Deutschland angekommen. Ständig gebe es neue Hürden. Heute kommt sie zurück von einem Termin bei der Botschaft in Manila: „Die wollten noch ein weiteres Dokument, das belegt, dass ich auch in Deutschland noch weiter Deutsch lernen werde. Aber andere Bewerber mit den gleichen Dokumenten wurden anerkannt.“
Nun muss Joyce, die in zwei Tagen einen Rückflug in ihre Heimatprovinz in den Südphilippinen hat, einen weiteren Termin bei der Botschaft in Manila machen und dann erneut anreisen. „Ich bin etwas enttäuscht, frustriert vielleicht“, gesteht sie. Und manchmal frage sie sich: „Will Deutschland eigentlich, dass ich dort arbeite?“
Arbeitsmarkt: Andere Länder zahlen Fachkräfte besser als Deutschland
Immerhin hätte es Joyce in anderen Ländern wesentlich leichter, mit ihren Qualifikationen einen Job zu landen. In Deutschland wird sie – als noch nicht voll anerkannte Pflegekraft –bis zu einer erneuten Berufsprüfung nach einigen Monaten zunächst nur rund 2300 Euro brutto verdienen. In Kanada, Australien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten würde sie von Anfang an bis zu doppelt so viel verdienen.
Und das ist für Fachkräfte aus den Philippinen ein schlagendes Argument: Denn fast alle von ihnen zieht es ins Ausland, weil sie dort bei höherem Einkommen einen Teil in die Heimat zurücküberweisen können. So arbeiten bisher nur rund 6000 philippinische Pflegekräfte in Deutschland. Damit es mehr werden, müsste der Standort attraktiver werden. Aber das Bewusstsein dafür scheint bisher gefehlt zu haben.
Nicht passend ausgebildet für den deutschen Arbeitsmarkt?
Bei der Bezirksregierung Münster, die für das Land Nordrhein-Westfalen die Vergleichbarkeit ausländischer Pflegeausbildungen prüft, heißt es auf Anfrage: „Das Studium umfasst in den Philippinen einen hohen Anteil an Stunden in einem sogenannten Skillslab. Diese Stunden werden in Deutschland dem theoretischen und praktischen Unterricht zugeordnet und nicht der praktischen Ausbildung. So ergibt sich für die Philippinen ein Stundenumfang von 1776 Stunden in der praktischen Ausbildung und nicht die erforderlichen 2500 Stunden.“
Für den deutschen Arbeitsmarkt seien die Filipinas und Filipinos also nicht passend ausgebildet. Und einerseits stimmt das auch, sagt Jason Heinen: „Bei der Grundpflege hapert es oft noch. Das haben die Fachkräfte aus den Philippinen, aber auch aus Tunesien, Ägypten und anderswo in ihrer Ausbildung oft nicht so gelernt.“ Dort werde der theoretische Teil stärker betont, vor allem Fragen des Managements. Allerdings ließe sich etwa die Waschung eines Patienten binnen einiger Wochen erlernen: „Diese Defizite, die man in der Praxis dann hat, wie zum Beispiel Ganzkörperpflege, die kann man auch im Rahmen ‚learning on the job‘ machen.“
So drängt man in den Philippinen auf eine volle Anerkennung des Bachelor-Abschlusses, selbst wenn in Deutschland ein paar Fertigkeiten zusätzlich erlernt werden müssen. Und Jason Heinen, der über die vergangenen Jahre mit schwindendem Interesse an Deutschland zu kämpfen hatte, ist verhalten optimistisch, dass die Bundesregierung dies versteht, wenn sie ihre Gesetzeslage nun reformieren will. „Ich denk mal, dass sich das ändern wird. Ich hoffe es.“ Denn irgendwann müsse man es in Deutschland ja auch mal verstehen.