Joseph Ponthus: „Am laufenden Band“ – Ein Brotjob, wie man so sagt

Der früh verstorbene Franzose Joseph Ponthus berichtet vom Leben am Fließband.
Das Band läuft und läuft. Es mag ins Stocken geraten, für einen Augenblick stillstehen, ein Ende aber gibt es nicht. Das Band läuft, in den Fischfabriken der Bretagne, den Fleischbetrieben im Ruhrpott, den Verteilzentren von Amazon überall auf der Welt – es geht weiter, immer weiter.
Und der Mensch? Der beeilt sich besser, dran zu bleiben: Handgriff auf Handgriff, eingeschliffene Routinen, harte Arbeit.
Von ihr, der harten Arbeit, erzählt der französische Schriftsteller Joseph Ponthus in „Am laufenden Band. Aufzeichnungen aus der Fabrik“. Das literarische Ich, ein Literaturwissenschaftler und Sozialpädagoge, steht als Zeitarbeiter in den Fisch- und Fleischfabriken der Bretagne. Er sortiert Garnelen, Sardinen, Seelachse, Merlane, schiebt zerlegte Schweine, sieht Kiefer, Hörner, Vorderhufe und „manchmal zarte behaarte Ohren“.
Ponthus schreibt in freien Versen. Die Fabrik ist aber nicht nur Ort der Inspiration, an dem man sich ein bisschen umschaut, die Fließbandarbeit ist notwendig: „Ich bin nicht für eine Reportage hin / Und schon gar nicht für die Revolution / Nein / Die Fabrik ist für die Kohle / Ein Brotjob / Wie man so sagt“.
Das Buch
Joseph Ponthus: Am laufenden Band. Aufzeichnungen aus der Fabrik. A. d. Franz. v. Claudia Hamm/Mira Lina Simon. Matthes & Seitz, Berlin 2021. 239 S., 22 Euro.
Tagsüber also die Fließbandarbeit, abends das Schreiben – oder auch anders herum, denn die Dienste kommen unzuverlässig, beginnen mal in der Nacht, mal am frühen Abend. Die Arbeit ist stumpf, ausbeuterisch und dringt in die anderen Lebensbereiche ein. „Die Knechtschaft ist freiwillig / fast beglückend“, aber verklärt wird sie nicht.
Die Worte laufen und laufen
Auch der Text selbst läuft wie ein Band, frei von Satzzeichen, er läuft und läuft, keine Unterbrechungen. In seine Beobachtungen und Eindrücke webt Ponthus literarische Verweise ein: Marx, Victor Hugo, Louis-Ferdinand Celine, Samuel Beckett, dazu Verweise auf Lieder, Filme, Sketche und philosophische Konzepte. Eindringlich schreibt Ponthus von den Schmerzen, dem Raubbau am eigenen Körper und den Abgründen der Fleischindustrie.
Ein Milieu, politische Forderungen oder soziologischen Studien, die über den einzelnen hinausweisen, entwirft Ponthus aber nicht. Mehr als ein fließbandartiges Registrieren lassen Müdigkeit und Erschöpfung nicht zu – es bleibt: ein Mann und seine Arbeit in der Fabrik. Wie das Ich des Buchs arbeitete auch sein Autor in den Fischfabriken und Schlachthöfen der Bretagne. Dabei hatte Ponthus, Jahrgang 1978, eigentlich Literatur und Soziale Arbeit studiert und war zehn Jahre lang als Sozialarbeiter in den Pariser Vororten aktiv gewesen.
„Am laufenden Band“ ist ein lesenswertes Debüt, in Frankreich vielfach ausgezeichnet. Die Übersetzung ins Deutsche erlebte der Autor nicht mehr: Erst 42 Jahre alt, starb er im Frühjahr 2021 an einer Krebserkrankung. Die Arbeit in den Fabriken, von der Ponthus mal leise und erschöpft, dann kämpferisch und mit Witz, schreibt, geht weiter. Denn: „Solange es Zeitarbeit gibt / Ist der Schlusspunkt nicht gesetzt / Geht es weiter / Am laufenden Band“.