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Streiks: In Zukunft investieren

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Von: Steffen Herrmann

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Selbst die Jugend streikt, wie hier Auszubildende von Bund und Kommunen aus ganz Hessen am 1. März in Kassel.
Selbst die Jugend streikt, wie hier Auszubildende von Bund und Kommunen aus ganz Hessen am 1. März in Kassel. © Swen Pförtner/dpa

Höhere Löhne, Klimaschutz und Verteidigung müssen wir uns leisten – für den Zusammenhalt und die Demokratie. Der Leitartikel.

Streiks, überall: Im Flugverkehr, im öffentlichen Dienst und bei der Post werden Arbeitskämpfe geführt. Auch bei der Bahn, wo die Tarifverhandlungen seit Dienstag laufen, könnte bald gestreikt werden. Geiselhaft, rufen die Arbeitgeber und fordern Gesetze, die das Streikrecht begrenzen. Finger weg, warnen die Gewerkschaften.

Es ist die übliche Tariffolklore, mit der beide Seiten das eigene Publikum bedienen. Dass die SPD-geführte Bundesregierung tatsächlich das Streikrecht antastet, ist unwahrscheinlich. Die wirklich wichtige Debatte dreht sich ohnehin um andere Fragen: Was können, was wollen wir uns noch leisten? Und: Ist es in diesen Krisenzeiten in Ordnung, mehr Geld zu fordern?

Mit Blick auf die vergangenen zwölf Monate ist die Antwort auf die zweite Frage klar: Ja, natürlich darf man mehr Geld fordern. Die Gewerkschaften müssen es sogar. Denn einerseits verdienen ihre Leute oft wenig und leiden unter den hohen Preisen – die hoch bleiben werden, auch wenn die Inflationsrate sich wieder bei zwei Prozent einpendeln sollte.

Streiks bei der Post und im öffentlichen Dienst

Andererseits war die Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale, die die Inflation befeuert, unbegründet. Mit Blick auf die Abschlüsse bis Ende 2022 und „gemessen an der Jahresinflationsrate von 7,9 Prozent war die Tarifdynamik insgesamt moderat“, urteilt selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) laut der „FAZ“ und zwingt konservative Medienmacher zu Verrenkungen, um irgendwie zum Schluss zu kommen, dass die Löhne die Preise treiben.

Tatsächlich agierten die Gewerkschaften unter dem Eindruck des Kriegs gegen die Ukraine umsichtig. Die IG BCE verlegte die Tarifrunde vom Frühling in den Herbst, und fuhr dann wie auch die IG Metall moderate Abschlüsse ein, die die Inflationsfolgen für die Beschäftigten abfedern, aber nicht ausgleichen. Von einer Lohn-Preis-Spirale kann nicht die Rede sein.

Tarifverhandlungen: Lohn-Preis-Spirale bleibt wohl aus

Nun, knapp ein Jahr nach Beginn des Kriegs geht es der deutschen Wirtschaft besser als erwartet; der ganz große Crash ist ausgeblieben. Auch deshalb treten Verdi und EVG in den Tarifrunden bei der Deutschen Post, im öffentlichen Dienst und im Bahnverkehr offensiver auf als ihre Kolleginnen und Kollegen im Herbst. Glaubt man allerdings den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten, sieht die Zukunft der deutschen Wirtschaft nicht besonders rosig aus.

Sie rechnen mit einer jahrelangen Phase schwachen Wachstums. Grund sind strukturelle Fehler der vergangenen Jahre und Jahrzehnte: die bislang gescheiterte ökologische Transformation, überbordende Bürokratie, nicht ausreichende Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie das Fachkräfteproblem.

Staat hat zu wenig investiert

Man kann es auch anders sagen: In den Merkel-Jahren hat der Staat zu wenig Geld in die Hand genommen, Investitionen hat er in die Zukunft verschoben. Jetzt kommt der Ruf nach Geld aus allen Ecken: mehr Geld für Klimaschutz, mehr Geld für die Bundeswehr, mehr Geld für Städte und Kommunen, für den Umbau der Wirtschaft, für Integration, für Verkehr und und und.

Was also können und wollen wir uns leisten? Gott sei Dank gebe es die Schuldenbremse, sagen da manche und fordern, die Bundesregierung solle sich auf das Wesentliche konzentrieren. Wesentlich seien die Sicherheits- und Klimapolitik, unwesentlich dagegen die Sozialpolitik. Heißt: Geld für Waffen und Atomkraft, gerne. Aber Geld für Arme und Unterprivilegierte? Nein danke.

Ist die Schuldenbremse die richtige Antwort?

Das ist die falsche Antwort. Natürlich können wir uns nicht mehr alles leisten – klimaschädliche Rabatte für Dienstwagen oder Dieselkraftstoff zum Beispiel. Oder großzügige Befreiungen bei der Erbschaftssteuer, von der insbesondere reiche Familien profitieren. Hier könnte der Staat zugreifen, denn: Während eine Erbschaft von 300 000 Euro laut der OECD mit knapp zehn Prozent besteuert wird, sind es bei 30 Millionen Euro nur zwei Prozent. Fair ist das nicht.

Und können wir uns denn die Schuldenbremse leisten? Schulden sind nicht schlecht, wenn sie als Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder den klimagerechten Umbau der Wirtschaft dazu beitragen, dass es Deutschland in zehn oder zwanzig Jahren besser geht.

Wer jetzt nicht oder nicht genug investiert, wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Das ist fahrlässig und gefährlich – nicht nur mit Blick auf die Wirtschaft, sondern auch mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie selbst. Das ist es, was wir uns nicht leisten können.

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