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Gewerkschaftskonferenz Bochum: Renaissance der Arbeitermacht

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Von: Jana Ballweber, Steffen Herrmann

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Das Audimax der Bochumer Uni ist gut gefüllt: 1550 Menschen nehmen an der Gewerkschaftskonferenz teil.
Das Audimax der Bochumer Uni ist gut gefüllt: 1550 Menschen nehmen an der Gewerkschaftskonferenz teil. © Niels Schmidt

Bei der Konferenz „Gewerkschaftliche Erneuerung“ am Wochenende in Bochum sind die großen gesellschaftspolitischen Fragen ebenso Thema wie kürzere Arbeitszeiten und Löhne.

Auch wenn der Streik der EVG bei der Deutschen Bahn kurzfristig ausfällt: In den vergangenen Monaten wurde so viel gestreikt wie lange nicht mehr. Die Streiklust ist am zurückliegenden Wochenende auch in Bochum spürbar. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat gemeinsam mit 15 lokalen gewerkschaftlichen Gliederungen zur Konferenz „Gewerkschaftliche Erneuerung“ eingeladen, und rund 1550 Menschen sind in die Säle der Ruhr-Universität gekommen: Pflegerinnen, Angestellte von Galeria, Rider von Lieferando, Forschende und viele andere Gewerkschaftsmitglieder. Es ist eine bunte Mischung, drei Tage lang sprechen sie über Arbeitskämpfe und Gewerkschaftsarbeit in Zeiten von Krise, Klima und Inflation.

Ausgerechnet Bochum: Hier im Ruhrpott erlebten die Gewerkschaften große Niederlagen. Das Aus von Opel und Nokia, der Niedergang des Bergbaus.

An diesem Wochenende ist die Stimmung auf dem Bochumer Campus aber ausgelassen, die Zeiten sind andere: Von einer Renaissance der Arbeitermacht ist die Rede; von einer „Konferenz in Zeiten des Aufschwungs gewerkschaftlicher Kämpfe“ spricht Heinz Bierbaum, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das zeigen auch die Besucherzahlen: Zur letzten Streikkonferenz nach Braunschweig im Februar 2019 waren noch rund 820 Menschen gekommen, nun zählen die Veranstalter rund 1550 Anmeldungen.

Gewerkschaftskonferenz: Menschen sind gekommen, um sich zu vernetzen

Viele Besucherinnen und Besucher sind gekommen, um sich zu vernetzen, um von den erfolgreichen Arbeitskämpfen in anderen Branchen zu lernen. Oder um sich gegenseitig Solidarität zu versichern: Als eine Beschäftigte der Gelsenkirchener Galeria-Filiale von ihrem Kampf erzählt, gibt es Applaus und Standing Ovations. Die Filiale werde zum 1. Juli schließen, berichtet die Frau, den Angestellten sei gekündigt worden. „In der Kündigung hat man vergessen, uns zu danken“, erzählt sie. „Stattdessen kam dann ein Ostergruß mit dem Wunsch, dass wir hoffentlich Kundinnen bleiben.“

Eines machen die Teilnehmenden der Streikkonferenz von Anfang an klar. Gewerkschaft ist mehr als nur das Verhandeln über höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten. In den Gewerkschaften werden die großen gesellschaftspolitischen Fragen genauso intensiv behandelt wie überall sonst – nur eben mit Fokus auf die Auswirkungen für Arbeitnehmer:innen.

Frank Deppe, emeritierter Professor für Politikwissenschaft von der Universität Marburg, nimmt am ersten Konferenztag sein Publikum mit durch die Geschichte der Arbeiterbewegung und beschäftigt sich dabei besonders mit dem Auftreten der Bewegung in Kriegszeiten. Anlass ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Arbeiter- und Friedensbewegung sind traditionell eng miteinander verknüpft; auch viele Anwesende im Saal, die sich zu Wort melden, lehnen die Unterstützung der Ukraine in Form von Waffenlieferungen ab. Das Geld, das derzeit in Deutschland für Aufrüstung ausgegeben werde, werde ohnehin an anderer Stelle gebraucht, so die einhellige Meinung: beim Kampf gegen die Inflation, bei der Entlastung der Arbeitnehmer:innen – und bei der sozial ausgewogenen Bekämpfung der Klimakrise.

Es geht um Tarifrunden in Zeiten der Inflation und noch viel mehr

Wie Klima- und Arbeiterbewegung zusammenwirken können, um gemeinsame Ziele zu erreichen, berichten Christine Behle, stellvertretende Vorsitzende von Verdi, und Felicitas Heinisch, Aktivistin bei Fridays for Future. Beide Organisationen arbeiten eng zusammen: „Wir bringen die Streikmacht der Beschäftigten zusammen mit der gesellschaftlichen Macht der Klimabewegung“, so Heinisch, um insbesondere eine Verkehrswende zu erreichen, die das Klima schützt, aber die Interessen der Beschäftigten und der Bevölkerung nicht außer Acht lässt.

Am zweiten Konferenztag geht es in die Arbeitsgruppen: In rund 25 AGs sprechen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über „Machtaufbau durch Beteiligung“, über „Tarifrunden in Zeiten der Inflation“ oder feministische Streiks. Schnell wird deutlich: Etwas zu sagen haben nicht nur die Referentinnen und Referenten aus den Betrieben, den Gewerkschaften oder von den Unis, sondern auch die Menschen im Publikum. Zum Beispiel in der Arbeitsgruppe zum Union Busting: Fast alle im Publikum haben schon selbst erlebt, wie der eigene Arbeitgeber Betriebsräte und Gewerkschaftsmitglieder unter Druck setzt, einschüchtert oder bedroht. Ein Pfleger berichtet von Mobbing und Beleidigungen im Operationssaal, nachdem sein Chef erfahren hat, dass er als Betriebsrat kandidieren will. Ein Facharbeiter erzählt vom Abend in der Kneipe, wo man sich trifft, um über die Gründung eines Betriebsrats zu sprechen – plötzlich sitzt der Chef am Tisch und alle schweigen. So geht es weiter, Beispiel folgt Beispiel. Es sind bekannte Unternehmen darunter, große Konzerne und kleine Familienunternehmen. Mal ist der Druck subtil, in anderen Fällen geht es brachial zu.

Was, wenn der Arbeitgeber die Bildung eines Betriebsrats torpediert?

Sich gegen das Union Busting zu wehren, ist schwer: Die Behinderung der Betriebsratsarbeit ist zwar strafbar, wird aber kaum verfolgt. „Das Knowhow in der Strafverfolgung fehlt“, beklagt sich eine Gewerkschaftssekretärin, „darauf setzen die Arbeitgeber“. Im Saal selbst ist schnell klar: Man muss sich vernetzen, in die Offensive gehen und sich professionelle Hilfe suchen. Auch mit Blick auf die mentale Gesundheit der von Union Busting Betroffenen, warnt ein Teilnehmer.

In die Offensive wollen die Gewerkschaften auch auf dem Feld der Digitalisierung gehen und verhindern, dass dort nur die Interessen des Kapitals berücksichtigt werden. Damiano Quinto von Verdi berichtet in einer Arbeitsgruppe über ein Leuchtturmprojekt: ein Digitalisierungstarifvertrag für die Beschäftigten der Modekette H&M: „Digitalisierung macht gar nichts. Sie wird gemacht“, meint Quinto. Und das derzeit vor allem im Dienste der Kapitalinteressen. Um das zu ändern, einigten sich die Tarifpartner auf verbindliche Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer:innen und Standards für menschengerechte Arbeitsgestaltung, die jede neu eingeführte Technik einhalten muss. Ein Vorbild für andere Branchen und Unternehmen?

Am dritten und letzten Tag der Konferenz ziehen die Veranstalter ein rundum positives Fazit: „Es war die größte links-gewerkschaftliche Konferenz in Deutschland seit Jahrzehnten“, sagt Florian Wilde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Konferenz habe ihren „überregionalen, gewerkschafts- und generationenübergreifenden Charakter und ihren Fokus auf praktische Fragen der Gewerkschaftsarbeit“ bewahrt, habe sich zugleich aber auch sichtbar verjüngt. Die große Nachfrage in Bochum zeige: Der Bedarf nach derartigen Plattformen für einen Austausch einer pluralen Erneuerungsbewegung in den Gewerkschaften sei groß, so Wilde. „Es wird daher auch nicht die letzte Konferenz ihrer Art gewesen sein – die nächste wird für 2026 vorbereitet.“

Die Frankfurter Rundschau ist Medienpartner der Konferenz.

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