Erntehelfer: Hungerlöhne und Schimmel im Zimmer

Der Bericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ listet massive Verletzung von Rechten auf. Gewerkschaften fordern die nächste Regierung auf, endlich zu handeln.
Ohne sie geht in der Landwirtschaft nichts: Tausende ausländische Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter kommen jedes Jahr nach Deutschland, um hierzulande Erdbeeren, Spargel oder Trauben zu ernten. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen aber sind oft schlecht. Lohnabzüge, verschimmelte Unterkünfte, fehlende Versicherungen: In dem am Freitag vorgestellten Jahresbericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ listet die Initiative Faire Landarbeit viele Arbeitsrechtsverletzungen und Probleme auf. So erzählte Katharina Varelmann, Koordinatorin der Initiative, von zehn Rumänen, die in einer Baumschule beschäftigt waren. Nach einem Streit um die Löhne, die bei knapp vier Euro gelegen haben sollen, hatte ihr Arbeitgeber ihnen gekündigt und die Männer an einem Bahnhof in der Provinz ausgesetzt – ohne Geld und ohne Pässe.
Ein Fall von vielen. Aber wie groß das Problem tatsächlich ist, ist unklar. Denn es fehlen Zahlen. Varelmann sprach von einem „blinden Fleck“, denn Saisonbeschäftigung werden unzureichend erfasst. Hinzukomme ein „Gewusel aus unterschiedlichen Zuständigkeiten“ bei der Kontrolle von Arbeits- und Wohnbedingungen, sagte Harald Schaum, Stellvertretender Bundesvorsitzender der IG BAU, die wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) der Initiative angehört.
Tausende Saisonarbeitskräfte helfen bei Ernte
Drei Zahlen sind dagegen klar: Erstens: 2019 kamen knapp 274 000 Saisonarbeitskräfte nach Deutschland. Jüngere Daten liegen nicht vor. Aber er gehe nicht davon aus, dass sich an dieser Zahl viel verändert habe, sagte Harald Schaum. Zweitens: Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat die Dauer der kurzfristigen Beschäftigung erneut auf 102 Tage verlängert. So lange durften Betriebe ausländische Arbeitskräfte sozialversicherungsfrei beschäftigen. Schaum und DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel kritisierten diese Entscheidung am Freitag erneut heftig.
Piel sagte, die nächste Koalition müsse der „Ausbeutung“ ein Ende setzen. „Die sozial nicht abgesicherte kurzfristige Beschäftigung muss in allen Branchen auf wenige Tage im Jahr begrenzt werden.“ Außerdem müssten Kontrollen ausgeweitet und Arbeitszeit verlässlich erfasst werden.
DGB: „Ausbeutung“ von Erntehelfern stoppen
Und eine dritte Zahl überraschte: Erstmals kamen nach Angaben der Initiative 180 Menschen aus Georgien für die Arbeit in der Landwirtschaft. Georgien ist das erste Land, mit dem die Bundesagentur für Arbeit (BA) ein Drittstaatenabkommen geschlossen hat, das Arbeitskräfte nach Deutschland bringen soll. Bei der Unterzeichnung hatte man allerdings mit knapp 5000 Personen gerechnet. Nun waren es gerade einmal 180. „Das hat mich völlig überrascht“, sagte Harald Schaum. Womöglich habe der georgische Gewerkschaftsbund einige Menschen davon überzeugen könne, in Georgien zu bleiben. Möglich sei auch, dass die deutschen Betriebe verstärkt auf Menschen aus anderen Ländern zurückgegriffen hätten.