„Verschenke Auto gegen Job“: Kuriose Ebay-Anzeige löst Diskussion aus

Auf Ebay steht derzeit eine ungewöhnliche Anzeige. Die Botschaft dahinter löst Diskussionen aus.
Es ist eine verzweifelte Anzeige, die Ahmed A. auf Ebay geschaltet hat: „Verschenke Auto gegen JOB oder Verkaufe an Höchstbietenden“. Am Donnerstagabend (04.11.2021), vier Tage vor Ende der Auktion, hatten sechs Menschen ein Gebot für den gebrauchten Ford Focus abgegeben. Stand: 101 Euro.
A., ein 50 Jahre alter Mann aus dem Ruhrgebiet, ist derzeit arbeitslos. Seinen vollen Namen will er nicht nennen. Auch weil die Antworten auf sein Inserat alles andere als freundlich waren, wie er erzählt: Beleidigungen, rassistische Sprüche, Angebote zur Prostitution. Er solle nicht jammern, er solle zurück in die Türkei gehen, er solle anschaffen. „Schön ist das nicht“, sagt er. Denn es geht dem 50-Jährigen nicht nur um sich, wie er sagt: „Ich habe die Anzeige geschaltet, damit die Leute aufmerksam werden.“ Aufmerksam, auf was?
Kritik am Arbeitsmarkt: „Vielen Menschen geht es beschissen“
Seit der Agenda 2010 gehe es vielen Menschen in Deutschland „beschissen“, erzählt A. Wer seine Arbeit verliere, dem drohe Armut. Unter dem Schlagwort Agenda 2010 hatte die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder von 2003 an den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem reformiert. Eine Folge: Der Leiharbeitssektor wurde massiv ausgebaut.
Die Gewerkschaft Verdi definiert Leiharbeit so: „Arbeitnehmer:innen sind bei einem Verleihunternehmen (in der Regel unbefristet) angestellt und werden einem anderen Unternehmen für eine bestimmte Zeit gegen Entgelt überlassen.“ Andere Bezeichnungen dafür sind Zeitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im Jahresdurchschnitt 2020 rund 800.000 Menschen in Deutschland über Leiharbeit beschäftigt.
Arbeitslosigkeit, Hartz IV und Leiharbt: Die Folgen der Agenda 2010
Auch Ahmed A. hat seine Erfahrungen mit den Folgen der Agenda-Reformen gemacht. 2009 habe er seinen Job in einer Gießerei verloren, erzählt er. Was dann folgte, schildert er als Fall in ein Loch, das die Agenda-Reformen ins Sicherheitsnetz gerissen hätten: Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Leiharbeit.
Statt den 2500 Euro netto, die er als festangestellter Gießer verdient habe, habe er dann als Leiharbeiter in einer Gießerei arbeiten sollen – für rund 900 Euro im Monat. „Glauben Sie mir, wenn Sie einmal fallen, dann fallen sie immer“, sagt A. Seither: diverse Jobs, befristete Verträge, Qualifizierungen – aber der Lebensstandard früherer Jahre kehrte nicht zurück.
Ihm gehe es auch um die Ungerechtigkeit, dass Leiharbeiter:innen für die gleiche Arbeit oft weniger Geld bekommen als Festangestellte, sagt A. Im Jahr 2019 lag der Lohnunterschied nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bei rund 600 Euro. Zwar haben Leiharbeiter:innen bei gleicher Qualifizierung grundsätzlich einen Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie Stammbeschäftigte. Aber laut der Deutschen Anwaltshotline (DAHAG) hebeln Tarifverträge diesen Anspruch teilweise aus.
Leiharbeit schlimmer als Akkorarbeit: „Das war Mord“
Der heute 50-jährige A. kam mit fünf Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Mit 16 Jahren fing er an zu arbeiten und lernte dabei, wie er selbst sagt, deutsche Qualität zu schätzen. Sein Vorarbeiter habe ihm damals geraten: Arbeite lieber etwas langsamer und dafür gründlich.
Heute aber sei das anders, sagt A. Als Leiharbeiter habe er oft das Gegenteil erlebt: Mehr Arbeit in weniger Zeit für weniger Geld. „Das war schlimmer als Akkord, das war Mord.“ Der Druck sei dabei nicht unbedingt nur vom Arbeitgeber ausgegangen, sondern auch von den Beschäftigten selbst: „Die Arbeiter machen sich selbst Druck und erhöhen die Stückzahl, weil sie hoffen, dann übernommen zu werden.“
Verbesserte Arbeitsmarktbedingungen: Kaum Hoffnung für Arbeitnehmer
In der vergangenen Jahren hat A. versucht, sich gegen die Folgen der Agenda zu wehren: Er schrieb Briefe an den heutige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, damals normaler Bundestagsabgeordneter, an das Bundesverfassungsgericht und das Europaparlament. Die Antworten: nett, aber unverbindlich.
Und nun, so kurz vor der Bildung einer SPD-geführten Regierung? Hat er Hoffnung, dass es besser wird? A. winkt ab. „Die SPD ist keine soziale Partei mehr.“ Und dann zählt er auf: „Gerhard Schröder, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel, das sind keine Sozialdemokraten. Auch der Olaf Scholz, was will er machen?“ (Steffen Herrmann)