1. Startseite
  2. Wirtschaft
  3. Frax

Frau, Migrantin, Muslima: Dreifach diskriminiert auf dem Arbeitsmarkt

Erstellt:

Von: Steffen Herrmann

Kommentare

Studien zeigen: Frauen, die Kopftuch tragen, werden nach Bewerbungen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Imago Images
Studien zeigen: Frauen, die Kopftuch tragen, werden nach Bewerbungen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. © Imago

Auf dem Arbeitsmarkt sind manche Menschen mehrfach benachteiligt – in der Forschung spielt diese Diskriminierung aber oft noch keine Rolle.

Frankfurt - Ein Krankenhaus irgendwo in Deutschland. Zwei Frauen mit Migrationsgeschichte müssen 50 bis 65 kranke Menschen versorgen, ihre deutschen Kolleginnen nur rund 30 Kranke. Ein Handwerksbetrieb, dessen Chef die Bitte um einen Gebetsraum ablehnt. Eine Behörde, die Menschen aus ärmeren Stadtteilen nicht zu Bewerbungsgesprächen einlädt. Drei Fälle von Diskriminierung. Gesammelt hat sie die IQ Fachstelle für Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung.

„Diskriminierung ist ein signifikantes Problem“, sagt Ruud Koopmans. Der Sozialwissenschaftler ist Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat zu ethnischer und religiöser Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt geforscht. Im internationalen Vergleich seien die Arbeitsmarktnachteile von Migrant:innen oder anderen Minderheiten in Deutschland allerdings eher von einem begrenzten Ausmaß, sagt Koopmans und verweist auf Großbritannien und die USA, wo die Diskriminierung größer sei.

Niemand in Deutschland darf aus rassistischen Gründen, wegen Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung benachteiligt werden. Auch die Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist verboten.

Menschen mit Migrationsgeschichte sind auf dem Arbeitsmarkt von Diskriminierung betroffen

Trotzdem passiert es. Menschen mit Migrationsgeschichte sind überdurchschnittlich von Diskriminierung betroffen. 2018 zeigte ein Team des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) um Koopmans, dass Bewerbungen von Menschen mit einem albanischen, marokkanischen oder äthiopischen Hintergrund deutlich schlechtere Chancen haben als jene von Menschen ohne Migrationshintergrund. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Studien zu Bewerber:innen mit türkischen Namen oder zu Musliminnen, die Kopftuch tragen.

An der Studie der WZB-Forschenden nahmen Menschen mit 35 verschiedenen Migrationshintergründen teil. Gleichermaßen diskriminiert seien sie aber nicht worden, wie Koopmans sagt. Er erklärt das mit angenommenen Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Wertvorstellungen. „Dass ein Niederländer wie ich wenig diskriminiert wird, hat damit zu tun, dass der Werteunterschied zwischen Deutschland und den Niederlanden ziemlich gering ist.“

Im Rahmen der europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen gaben 5,6 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland an, dass sie Diskriminierung am Arbeitsplatz erführen. In der Erhebung von 2015 hielten die Fachleute fest, dass vor allem jüngere Menschen Benachteiligungen meldeten: „Dies könnte möglicherweise darauf beruhen, dass sie ein anderes Bewusstsein dafür besitzen und bei älteren Menschen bereits ein Gewöhnungseffekt eingesetzt hat.“ Zu jenen jungen Menschen, die sich nicht an die Ungleichheit gewöhnen wollen, gehören Regina Sandig und Martha Dudzinski. Die beiden Frauen engagieren sich im Netzwerk Swans und kämpfen gegen Diskriminierung in der Arbeitswelt.

Arbeitsmarkt: Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte

Besonders in ihrem Fokus: die Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte. „Wir unterstützen Frauen, die Diskriminierung auf mehreren Ebenen gleichzeitig erfahren“, sagt Dudzinski. „Sie werden also nicht nur aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, sondern auch aufgrund der Abstammung, aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion und sozialen Herkunft.“

Diesen Frauen wollen Sandig und Dudzinski helfen. Sie organisieren Seminare, bieten Bewerbungschecks an und vermitteln Kontakte zu Unternehmen. „Das Herzstück ist unser Netzwerk“, sagt Sandig, „also die Möglichkeit, miteinander in Austausch zu sein.“ Denn obwohl die inzwischen mehr als 600 Frauen des Netzwerks es an die Uni geschafft haben, fehlt Ihnen oft etwas: Habitus, Netzwerke, Sicherheit – „man bewegt sich nicht so souverän und komfortabel durch bestimmte Kreise“, erzählt Dudzinski.

„Intersektionalität wird immer wichtiger“, sagt auch Virginia Sondergeld. Sie arbeitet zum Thema Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Jede Person vereint verschiedene Identitätsmerkmale in sich, dies muss auch noch mehr in der Forschung in der VWL berücksichtigt werden.“

Neben Aufklärung und Vernetzung kann auch Anonymität den Bewerbungsprozess fairer machen: Für eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus den Jahren 2010 und 2011 anonymisierten acht Unternehmen ihre Bewerbungsverfahren. Das Ergebnis: weniger Diskriminierung. Das Fehlen persönlicher Angaben wie Name, Geschlecht und Alter sei für die Mehrheit der Personalverantwortlichen kein Problem gewesen, bilanzieren die Autor:innen der Studie. Besonders das Weglassen des Fotos trage „zu einer Fokussierung auf die Qualifikationen bei“.

Fokus auf das Wesentliche, das versprechen auch die Anbieter von Algorithmen, die mittlerweile eine wichtige Rolle in vielen Personalabteilungen spielen. Stellenanzeigen werden automatisch ausgespielt, Software sortiert geeignete Kandidatinnen aus großen Bewerberpools oder registriert, welcher Mitarbeiter sich weiterbildet und für eine andere Stelle infrage kommt.

Ein Vorurteil: Technik diskriminiert nicht. Die Realität sieht mitunter anders aus: „Die Frage von Diskriminierung stellt sich vor allem dort, wo der Algorithmus mit großen Datensätzen arbeitet und lernt“, sagt die DIW-Forscherin Sondergeld. „Die Frage ist dann: Was wird maximiert?“

Wie steht der Frax?

Der FR-Arbeitsmarktindex berücksichtigt nicht nur die Zahlen von Erwerbslosen und Erwerbstätigen, sondern weitere Kriterien wie die Qualität der Arbeit.

Arbeitsmarkt: Wenn der Algorithmus Männer bevorzugt

In den USA setzte Amazon jahrelang Software ein, um Bewerbungen und Lebensläufe zu scannen. Dann kam heraus, dass das Tool Männer für technische Jobs bevorzugt. Der Grund: Es verglich die Lebensläufe der Bewerber:innen mit denen des Personals – das wiederum mehrheitlich männlich war.

In New York bremst der Rat der Stadt den Einsatz von solcher Software künftig aus: Von 2023 an dürfen Unternehmen keine automatisierten Tools in Bewerbungsprozessen mehr einsetzen – es sei denn, eine jährliche Prüfung der Programme zeigt, dass sie Bewerber:innen nicht aufgrund von Ethnie oder Geschlecht diskriminieren. Die Hersteller solcher Programme sollen außerdem ihre Arbeitsweisen offenlegen.

Für viele Fachleute ist es ein Schritt in die richtige Richtung, der aber zu kurz geraten sein könnte: Die Regelung sei „sehr schwach“, kritisierte Alexandra Givens, Präsidentin des Center für Democracy & Technology, und warnte, dass sie zu einem „Feigenblatt“ für die Hersteller von KI-Tools werden könnte. Kritik gibt es auch daran, dass Diskriminierung wegen des Alters oder einer Behinderung außer Acht gelassen wird.

Die DIW-Forscherin Sondergeld will Algorithmen aber nicht verdammen. Neben den Risiken sieht sie auch Chancen: Wenn man etwa bemerke, dass der Algorithmus Herkunft oder Geschlecht besonders stark bewerte, müsse man sich die Frage stellen, warum das so sei. „Darin liegt eine Chance, der Algorithmus kann implizierte Vorurteile offenlegen, die in herkömmlichen Bewerbungsverfahren unbemerkt bleiben.“ (Steffen Herrmann)

Auch interessant

Kommentare