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Die Historie der Republik ist reich an Arbeitsniederlegungen

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Von: Steffen Herrmann

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Der Kampf für die 35-Stunden-Woche in den 70ern läuft parallel zum Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen (hier bei Thyssen).
Der Kampf für die 35-Stunden-Woche in den 70ern läuft parallel zum Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen (hier bei Thyssen). © Klaus Rose/Picture Alliance

Größere Streiks und Proteste sind soziale Korrektive in Deutschland.

Zwei Gewerkschaften und 350 000 Beschäftigte legen den Verkehr in Deutschland lahm. Die Zusammenarbeit von EVG und Verdi ist ungewöhnlich, und einige Reisende werden fluchen – ein außergewöhnlich langer oder großer Arbeitskampf ist es aber nicht. In der deutschen Geschichte seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Streiks, die das Land härter trafen. Ein unvollständiger Überblick.

Der Generalstreik: Am 12. November 1948 beteiligten sich acht bis neun Millionen Beschäftigte an einer generalstreikähnlichen „Arbeitsruhe“, die der DGB-Gewerkschaftsrat ausgerufen hatte. Das entsprach knapp 72 Prozent aller arbeitenden Menschen. Der eintägige Streik fand in der sogenannten Bizone statt – dem Zusammenschluss von US-amerikanischer und britischer Besatzungszone. Das Ziel waren höhere Löhne und mehr Demokratie in der Wirtschaft. Zuvor hatte eine Währungsreform die Sparguthaben abgewertet, Preise waren gestiegen, die – gesetzlich eingefrorenen – Löhne aber nicht. Aus Furcht vor Unruhen wünschte die Gewerkschaftsführung eine „Arbeitsruhe“, keine Kundgebungen oder Versammlungen. Das gelang zwar, die Gewerkschaften erreichten ihre Ziele jedoch nicht.

Die Betriebsverfassung: Im Mai 1952 beteiligten sich mehr als eine Million Arbeitnehmer:innen an Proteststreiks des DGB. Die Gewerkschaften kämpften damals für ein fortschrittliches Betriebsverfassungsgesetz. Dabei kam es zu einem zweitägigen Zeitungsstreik der Industriegewerkschaft Druck und Papier. Bundeskanzler Konrad Adenauer und der DGB-Vorsitzende Christian Fette trafen sich daraufhin zu neuen Verhandlungen. Ein Täuschungsmanöver der Bundesregierung: Ihr ging es lediglich darum, die Streiks zu beenden. Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess gewährte die konservative Regierung den Gewerkschaften nicht. Hinzu kam ein Sympathieverlust in der Öffentlichkeit: Der Streik wurde als gewerkschaftlicher Angriff auf die Pressefreiheit gewertet.

Der Metallarbeiterstreik: 16 Wochen lang streikten 1956/1957 rund 33 000 Metaller in Schleswig-Holstein, einer der längsten Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik. Die IG Metall forderte damit die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – also eine Gleichstellung mit Angestellten. Außerdem ging es um ein zusätzliches Urlaubsgeld und eine Verlängerung des Jahresurlaubs auf 18 Tage. Die Arbeitgeber wiesen diese Forderungen mit Verweis auf hohe Kosten zurück. Der darauf folgende Streik konzentrierte sich zunächst auf die gut organisierten Werftbetriebe und Maschinenfabriken, wo es wenige Streikbrechenden gab, dann wurde er auch auf kleinere Betriebe ausgedehnt. Die freie Zeit nutzten die Streikenden, wie sie später berichteten, für Sport und Kinobesuche. Nach vier Monaten einigten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Kompromiss. Der fiel in einer Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder zwar durch, trotzdem endete der Streik.

Der Öffentliche Dienst: Der erste bundesweite Arbeitskampf im Öffentlichen Dienst wurde 1974 geführt. Die Forderungen der Gewerkschaften klangen, zumindest was die prozentuale Erhöhung angeht, ähnlich wie heute: 15 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 185 Mark forderten die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) für die Beschäftigten. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) wollte ein Plus von 14 Prozent. Die Arbeitgeber boten vor dem Scheitern der Verhandlungen 9,5 Prozent. Der folgende Streik war kurz – er dauerte nur drei Tage: Müllwerker, Bahn- und Busfahrer legten ihre Arbeit nieder; Busse und Bahnen blieben in den Depots, der Müll in den Tonnen. Das Ergebnis: elf Prozent mehr Lohn, mindestens 170 Mark.

Der wilde Streik: Im März 1975 wollte das Zementwerk Seibel & Söhne im nordrhein-westfälischen Erwitte Beschäftigten kündigen. 150 Menschen traten daraufhin in den Ausstand und besetzten das Werk. Sie streikten 449 Tage lang ohne echte Unterstützung einer Gewerkschaft – und ohne Erfolg: Die Produktion ging zwar weiter, jedoch mit mehrheitlich neuer Belegschaft.

Die 35-Stunden-Woche: Seit den späten 70er Jahren kämpften die Gewerkschaften für eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche. Die Auseinandersetzung intensivierte sich 1984: Mehrmonatige Tarifverhandlungen scheiterten und die Arbeiter der baden-württembergischen und hessischen Metallindustrie streiken. Bis zu 58 000 Beschäftigte beteiligten sich. Die Arbeitgeber reagierten mit Aussperrungen und setzten knapp 160 000 Menschen ohne Lohn vor die Tür. Insgesamt waren zwischenzeitlich 500 000 Menschen ohne Arbeit – streikbedingte Produktionsausfälle, so die Arbeitgeber. „Kalte Aussperrung“, nannte das die Gewerkschaft IG Metall. Am Ende stand eine Schlichtung und die schrittweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit der Menschen auf 38,5 Stunden.

Der Öffentliche Dienst II : Elf Tage lang streikten im April und Mai 1992 die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, bei der Bahn und der Post. Auch Flughäfen und Autobahnmeistereien, Kitas, Krankenhäuser und Universitäten waren betroffen. Die Forderung der Gewerkschaften: 9,5 Prozent mehr Lohn. Nur 4,8 Prozent boten die Arbeitgeber. Die Streikbereitschaft war hoch, etwa 400 000 Menschen beteiligten sich am ersten flächendeckenden Arbeitskampf seit 18 Jahren. Bei der Bahn fielen 3200 Personenzüge und 390 Güterzüge aus. „Allein in Nordrhein-Westfalen warten an einem Dienstag Ende April drei Millionen Menschen vergeblich auf ihren Nahverkehr“, sollte der „Spiegel“ später schreiben. Der Zeitpunkt des Streiks war jedoch ungünstig: Kurz nach der Wiedervereinigung waren die öffentlichen Kassen leer. So endete die Aktion mit einem – für die Gewerkschaften – nicht zufriedenstellenden Ergebnis: 5,4 Prozent mehr Lohn und 200 Mark mehr Urlaubsgeld.

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