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Betriebsrat bei Amazon aussortiert?

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Von: Steffen Herrmann

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Viele Beschäftigte bei Amazon haben befristete Verträge.
Viele Beschäftigte bei Amazon haben befristete Verträge. © Ronny Hartmann/afp

Der Onlinehändler Amazon drängt laut der Gewerkschaft Verdi einen Betriebsrat aus dem Unternehmen.

Schwere Vorwürfe gegen Amazon: Der Online-Versandhändler soll im niedersächsischen Wunstorf einen Betriebsrat aus dem Unternehmen gedrängt haben. Nach dem Ende seiner Befristung habe Samuel Onyekachi Atuegbu – anders als viele seiner Kolleg:innen – keinen festen Vertrag bekommen, berichtet Verdi-Sekretär Nonni Morisse. „Wir gehen davon aus, dass der Grund dafür sein Engagement im Betriebsrat und in der Gewerkschaft ist.“

Amazon weist die Vorwürfe zurück. „Der Vertrag des angesprochenen Mitarbeiters läuft aus, das ist alles“, sagte ein Amazon-Sprecher der FR. „Wir kommunizieren klar die Erwartung, dass befristete Verträge ein reguläres Enddatum haben und dass wir nicht vorhersagen können, ob sie verlängert oder umgewandelt werden können.“

Seit vergangenen Dienstag ist Atuegbu seinen Job los. Er hatte einen Arbeitsvertrag mit einer sachgrundlosen Befristung. Diese Befristung kann maximal drei Mal verlängert werden und sie darf eine Gesamtdauer von zwei Jahren nicht überschreiten. Danach sind die Alternativen: Festanstellung oder Ende des Arbeitsverhältnisses. Bei Atuegbu, seit vergangenem Jahr Betriebsrat in Wunstorf, war es letzteres. „Amazon möchte hier einen Betriebsrat und Gewerkschafter ‚aussortieren‘!“, heißt es in einer Online-Petition, die Verdi-Sekretär Morisse gestartet hat und die bis zum Freitagmittag mehr als 26 000 Menschen unterzeichnet haben.

Gewerkschaft Verdi kritisiert Amazon

Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi ist Wunstorf kein Einzelfall, sondern Teil einer Strategie. Auch an anderen Standorten habe Amazon versucht, auf diesem Wege Betriebsräte loszuwerden, sagt Morisse. Betriebsräte haben einen besonderen Kündigungsschutz, damit sie die Interessen der Beschäftigten auch in Konflikten mit dem Arbeitgeber selbstsicher vertreten können. Mit der Petition will Verdi einerseits eine Botschaft an Amazon senden, wie Morisse sagt: „Lasst den Leuten ihre Mitbestimmung.“ Gleichzeitig habe sie aber auch eine politische Dimension: Es geht der Gewerkschaft um ein Verbot der sachgrundlosen Befristung.

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In Deutschland hat Amazon knapp 30.000 festangestellte Mitarbeiter:innen, davon mehr als 20.000 Festangestellte mit unbefristeten Verträgen in der Logistik. Allein 2021 hat das Unternehmen nach eigenen Angaben 7000 neue Jobs geschaffen. Der Konzern will nicht nur wachsen: „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, der beste Arbeitgeber der Welt zu werden“, heißt es auf der Unternehmensseite. An diesem Ziel arbeite man kontinuierlich, „auch wenn wir wissen, dass wir nicht perfekt sind“.

Viele der Menschen, die bei Amazon Pakete verpacken oder sortieren, haben eine Migrations- oder Fluchtgeschichte. Für manche ist es der erste Job in Deutschland, sie sind unsicher, die Gesetze ihnen fremd. „Amazon rekrutiert wohl absichtlich Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus“, sagt der Verdi-Sekretär Morisse. 

Amazon in Wunstorf: Betriebsrat mit befristeten Verträgen

Das Verteilzentrum in Wunstorf ist ein kleiner Amazon-Standort. Knapp 140 Angestellte sortieren hier Pakete, die dann von Subunternehmern ausgeliefert werden. Die größte Gruppe innerhalb der Belegschaft stellen Menschen aus Afrika. Für sie war Atuegbu, der nigerianische Wurzeln hat, ein wichtiger Ansprechpartner. Er gelte „als Sprachrohr der afrikanischen Community“, erzählt ein Kollege, der sich an die FR gewandt hat. „Wäre Samuel kein Betriebsrat, hätte Amazon ihm einen Festvertrag gegeben“, sagt er.

Unterstützung kommt auch aus der Politik: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (beide SPD) erklärten sich solidarisch, Weil unterzeichnete auch die Petition.

Amazon weist Kritik zurück

Amazon betont, dass es bei der Entscheidung über eine Entfristung bei allen Beschäftigten die gleichen Maßstäbe anlegt. Die Entscheidung werde unabhängig davon gefällt, ob jemand Mitglied im Betriebsrat ist oder nicht. Am Standort Wunstorf haben laut Amazon acht von neun Betriebsratsmitglieder unbefristete Verträge, unter den Nachrückern seien es zwölf von 13 Personen. Seit der Gründung des Wunstorfer Betriebsrats vor einem Jahr habe man aus diesen beiden Gruppen fünf Beschäftigten einen unbefristeten Vertrag gegeben.

Zur Petition äußert sich der Konzern gegenüber der FR nicht. Auch gegenüber Verdi habe Amazon kaum reagiert, sagt Gewerkschaftssekretär Morisse. „Die sitzen das aus.“ Der Fall wird nun die Gerichte beschäftigen. Verdi will mit einer Klage erreichen, dass Atuegbu weiterbeschäftigt wird.

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