Bahngewerkschaft EVG schließt Streiks nicht aus

Die Bahngewerkschaft EVG fordert eine kräftige Lohnerhöhung von mindestens 650 Euro oder zwölf Prozent. Schon Ende März könnte es zu Warnstreiks kommen - auch branchenübergreifend.
Das Frühjahr könnte hitzig werden – mit Streiks im öffentlichen Dienst, mit Streiks bei der Post. Und auch mit Streiks im Bus- und Bahnverkehr. Zumindest wenn es nach der Gewerkschaft EVG geht: Zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro mehr pro Monat fordert die Gewerkschaft in der anstehenden Tarifrunde mit der Deutschen Bahn und Dutzenden weiteren Bahnbetrieben. „Wir halten diese Forderung für mehr als gerechtfertigt“, sagte EVG-Tarifvorständin Cosima Ingenschay am Dienstag in Fulda, wo die Gewerkschaft die Forderung zuvor beschlossen hatte. Es gehe der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft vor allem darum, die unteren Lohngruppen in den Betrieben zu stärken.
Mit Blick auf die hohe Inflation stellte Ingenschay klar: „Wir haben keine Zeit für Tariffolklore.“ Das heißt aus Sicht der EVG: Schon in der ersten Verhandlungsrunde sollen die Arbeitgeber ein Angebot vorlegen. Passiert das nicht, wird gestreikt. „Liegen keine Angebote auf dem Tisch, geht das ganz schnell“, betonte auch Kristian Loroch, der ebenfalls EVG-Tarifvorstand ist.
Den Anfang der Tarifrunde macht die Deutsche Bahn am 28. Februar. Weil es keinen Arbeitgeberverband gibt und die Gewerkschaft mit rund 50 Verkehrsunternehmen einzeln verhandeln muss, könnte es Ende März oder Anfang April zu den ersten Warnstreiks kommen.
Bahngewerkschaft EVG: „Lohnerhöhung muss deutlich ausfallen“
In Fulda hatten sich am Montag und Dienstag die Tarifkommissionen der Gewerkschaft getroffen und die Forderungen beschlossen. An einer Mitgliederbefragung beteiligten sich zuvor laut EVG mehr als 40 000 Menschen. Mit dem Ergebnis ist Verhandlungsführerin Ingenschay zufrieden: „Angesichts enorm gestiegener Energie- und Lebenshaltungskosten muss die Lohnerhöhung deutlich ausfallen. Das haben unsere Mitglieder immer wieder sehr eindrücklich erklärt.“
Der Tarifvertrag soll eine Laufzeit von zwölf Monaten haben und für alle Unternehmen der Branche gleichermaßen gelten. Für die Nachwuchskräfte werden 325 Euro mehr im Monat gefordert. Wichtig ist der Gewerkschaft vor allem die „soziale Komponente“: Für die schlecht bezahlten Beschäftigten der Branche bedeutet ein Plus von monatlich 650 Euro eine Lohnerhöhung von deutlich mehr als zwölf Prozent.
In der vorangegangenen Tarifrunde hatte es ein Lohnplus von 1,5 Prozent gegeben. Die DGB-Gewerkschaft EVG ist die größere Bahngewerkschaft. Die Lokführergewerkschaft GDL verhandelt für ihre Leute erst im Oktober.
Deutsche Bahn: „Brauchen vernünftige Balance“
Der Deutschen Bahn liegen die EVG-Forderungen nach eigenen Angaben noch nicht vor. „Sobald sie uns zugegangen sind, werden wir die Forderungen der EVG genau prüfen und dann bewerten“, sagte ein DB-Sprecher am Dienstag. Für den Konzern sei klar: „Wir brauchen eine vernünftige Balance. Es geht um die Anerkennung der Leistung unserer Belegschaft, und darum, die Zukunftsfähigkeit der Bahn zu sichern.“ In den Tarifverhandlungen werde man „gemeinsam ein tragfähiges Gesamtpaket ausloten“, so der DB-Sprecher.
Derzeit laufen mehrere große Tarifrunden: Am Mittwoch und Donnerstag verhandelt die Gewerkschaft Verdi zum dritten Mal mit der Deutschen Post über die Löhne von rund 160 000 Beschäftigten. Die Löhne sollen aus Sicht von Verdi um 15 Prozent steigen. In den Briefzentren und der Zustellung wurde schon mehrfach gestreikt.
Streiks auch bei der Post und im öffentlichen Dienst
Im öffentlichen Dienst ist die erste Verhandlungsrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen ohne Angebot der Arbeitgeberseite verstrichen. Auch dort gab es Warnstreiks, am Dienstag etwa in Flensburg. Vom Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sind insgesamt mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte direkt oder indirekt betroffen. Verdi fordert 10,5 Prozent mehr, mindestens aber 500 Euro.
Im April könnte es dann branchenübergreifende Streiks geben, die alle Bereiche des öffentlichen Lebens lahmlegen. Verdi und EVG wollen ihre Aktionen abstimmen. „Wir wären schlecht beraten, wenn wir Synergien nicht bündeln“, sagte Kristian Loroch. Bereits am Montagabend hatte sein Verdi-Kollege Olaf Könemann in Fulda gesagt: „Wenn wir zusammenhalten, dann wird es einen Tag lang mal keinen Bus und keine Bahn geben, dann werden keine Pakete ausgetragen und es wird keine öffentliche Verwaltung geben.“ Unterstützung kam am Montagabend in Fulda auch von der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi: „Ihr seid keine Bittsteller, Ihr seid die Macher!“
Loch im Geldbeutel
Im vergangenen Jahr sind die Reallöhne in Deutschland so stark gesunken wie noch nie seit Beginn der statistischen Zeitreihe im Jahr 2008. Die vergleichsweise hohe Inflation von 7,9 Prozent hat die Steigerung der Nominallöhne von 3,4 Prozent vollständig zunichte gemacht und zusätzlich die Kaufkraft der Arbeitnehmer:innen ins Negative gedrückt. Nach vorläufigen Auswertungen nannte das Statistische Bundesamt am Dienstag für die Reallöhne einen Rückgang von durchschnittlich 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Der Wert war in der Corona-Krise bereits seit zwei Jahren rückläufig. Im Jahr 2020 hatte zunächst der Einsatz von Kurzarbeit zu einer negativen Lohnentwicklung geführt. Dann war der Anstieg der Verbraucherpreise der wichtigste Grund für den Schwund bei den Reallöhnen. Wegen einer Änderung des Berechnungsschemas sieht sich das Bundesamt nicht in der Lage, die Entwicklung für einzelne Wirtschaftszweige aufzuzeigen. Ob im laufenden Jahr eine Kehrtwende eintritt, hängt auch von den laufenden Tarifverhandlungen ab. dpa