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Fernfahrer bringen Italien zum Stillstand

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Von: Kordula Doerfler

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© dpa

Italiens Lastwagenfahrer meutern: Die teilweise gewalttätigen Blockaden sollen die ganze Woche andauern. Eine deutsche Fernfahrerin sitzt derzeit in Asti in Untersuchungshaft - während der Blockade überrollte ihr LKW einen italienischen Kollegen.

Wer derzeit auf italienischen Autobahnen unterwegs ist, braucht Geduld und starke Nerven. Auch am Mittwoch gingen die landesweiten Proteste der Fernfahrer in ganz Italien weiter, sie blockierten wichtige Zufahrtsstraßen und Maut-Stellen mit Sit-Ins und quergestellten Lastwagen. Und obwohl Regierungschef Mario Monti am Dienstag in Brüssel versichert hat, dass er den freien Güterverkehr garantieren und die Blockaden notfalls von der Polizei räumen lassen will, sind viele Fernfahrer entschlossen, bis zum Freitag durchzuhalten.

„Wir begreifen den Protest“, sagte Monti, „doch darf nicht gegen das Gesetz verstoßen werden.“ Auch seine Innenministerin Annamaria Cancellieri versicherte EU-Kommissar Antonio Tajani telefonisch, dass gegen militante Fernfahrer vorgegangen werde. Am Mittwoch wurden im ganzen Land zusätzliche Polizeikräfte mobilisiert und die Blockaden an einzelnen Orten aufgelöst.

Zwar handelt es sich bei den Blockierern nur um eine kleine, dafür aber umso militantere und offenbar bestens organisierte Minderheit unter den italienischen Fernfahrern. Aufgerufen zu den teilweise wilden Streiks hat die Gewerkschaft Transportounito, die etwa 7000 Mitglieder vertritt. Sie protestieren mit ihren Aktionen auch gegen die umfangreichen Liberalisierungsmaßnahmen, die die Übergangsregierung in Rom am vergangenen Freitag unter dem Motto „Wachse Italien“ beschlossen hat.

Welle von Streiks

Damit will Monti ganze Berufssparten liberalisieren, Privilegien aufbrechen und mehr Wachstum erzielen. Die Reaktionen ließen nicht lange warten. Italien droht nun eine ganze Welle von Streiks. Die Taxifahrer sind schon seit Tagen im Ausstand, am Freitag stehen die Züge im ganzen Land still, Apotheker und Anwälte wollen dem Beispiel folgen, Tankwarte die Zapfhähne gleich für zehn Tage zudrehen. Doch auch die Regierung ist überrascht von der Heftigkeit, mit der sich bei vielen nun diffuse Angst und Wut über die Wirtschaftskrise mit ganz handfesten Interessen vermischen.

So protestieren die Fernfahrer in erster Linie dagegen, dass mit dem bereits vor Weihnachten verabschiedeten Sparpaket die Benzinpreise drastisch gestiegen sind. Ein Liter Benzin kostet nun fast überall in Italien 1,80 Euro, Diesel ist nur unwesentlich weniger. Das trifft nicht nur die Autofahrer hart in einem Land, das ein schlechtes öffentliches Verkehrsnetz hat. Das Transportgewerbe befürchtet massive Einbußen, denn auch die Mautgebühren und Versicherungskosten steigen. Auf Italiens Straßen fahren etwa 460.000 LKW und kleinere Transporter. Fast die Hälfte von ihnen gehört Selbstständigen, bei denen es schnell um die Existenz geht. Und so sind es gerade diese Kleinunternehmer, die sich nun besonders militant zeigen, sehr zum Entsetzen der größeren Berufsverbänden, die den Protesten ablehnend gegenüber stehen.

Die Auswirkungen sind bereits im ganzen Land zu spüren. Fiat musste seine Fabriken schließen, weil die Zulieferungen ausbleiben. Die Preise für frisches Obst und Gemüse sind deutlich gestiegen, bis zum Wochenende drohen in vielen Städten die Regale in den Supermärkten leer zu werden. „Wenn ich das verkauft habe, gibt es nichts mehr“, sagt ein Markthändler in Rom und zeigt auf sein Obst und Gemüse, das er vor allem aus Sizilien bezieht.

Benzin Mangelware

Dort hat der Aufstand schon vor einer Woche seinen Anfang genommen, mit drastischen Folgen. Benzin wurde zur Mangelware, selbst Wasser in den Supermärkten knapp. Schon im vergangenen Jahr hat sich auf Sizilien eine Bewegung unter dem Namen „Forconi“, Mistgabeln gegründet. Dabei handelte es zunächst vor allem um Kleinbauern, die gegen die Krise in der Landwirtschaft protestieren und die Auswirkungen der Globalisierung fürchten. Mittlerweile hat sich die Bewegung auf das Festland ausgebreitet – und sie hat mächtige Unterstützer, beispielsweise aus der Partei von Silvio Berlusconi. Auch die Mafia soll laut Ivan Lo Bello, dem Präsidenten des sizilianischen Unternehmerverbandes, ihre Finger im Spiel haben. Gestern versammelten sich tausende aufgebrachter Forconi zu einer Demonstration in Palermo. „Wir sind zu allem bereit, auch zu sterben“, rief der Gründer der Bewegung, Mariano Ferro.

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Deutsche LKW-Fahrer betroffen

In der Wahl ihrer Mittel sind die Blockierer tatsächlich nicht zimperlich. Selbst ausländische Fernfahrer wurden teilweise unter Androhung von Gewalt am Weiterfahren gehindert oder gezwungen, ihre Kühlaggregate auszuschalten. Betroffen sind auch mehrere hundert deutsche LKW-Fahrer, wie der Sprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) Martin Bulheller, gegenüber der FR sagte. „Sie werden in einer Art Geiselhaft festgehalten und teilweise massiv bedroht.“ Der Verband hat das Verkehrsministerium und das Auswärtige Amt in Berlin bereits schriftlich dazu aufgefordert, „alle Schritte zu unternehmen, um die körperliche Unversehrtheit unserer Fahrer zu gewährleisten“.

Tödlicher Unfall

Einen ersten tragischen Todesfall hat es dennoch bereits am Dienstag gegeben. In der Nähe der piemontesischen Stadt Asti überfuhr eine deutsche Fernfahrerin versehentlich einen 46jährigen italienischen Kollegen, der noch an der Unfallstelle starb. Die Frau sitzt nun wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung in Untersuchungshaft und wird durch eine italienische Anwältin vertreten.

Die 52jährige Fernfahrerin fuhr nach Informationen der FR einen Lastwagen der Firma Lila Logistik, ist jedoch bei dem Subunternehmen Time Trans Transporte & Logistik im schwäbischen Eberstadt beschäftigt. Deren Inhaber Armin Vay bestätigte das gegenüber der FR und versicherte, dass man die Fahrerin juristisch unterstütze. Zum Hergang des Unfalls erklärte Vay, dass der italienische Streikposten offenbar versucht habe, die Fahrerkabine zu öffnen, um die Frau aufzuhalten. Diese habe ihm erklärt, sie wolle nur ihre Ware beim Kunden abliefern. Der italienische Fernfahrer soll daraufhin den Spiegel verbogen haben, so dass ihn die Frau nicht mehr sehen konnte, als sie anfuhr. Der Mann sei abgerutscht und so offenbar unter die Zwillingsreifen des LKW geraten. (mit kho)

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