Fairtrade trotzt der Krise

Die Nachfrage nach gerechter gehandelten Produkten legt zu. Für die Menschen am Beginn der Lieferketten bleibt die Klimakrise die größte Herausforderung.
Mit Blumen ist in Zeiten stark steigender Lebenshaltungskosten offenbar kein Geschäft zu machen. Das bekam auch der faire Handel im vergangenen Jahr zu spüren. Der Absatz von Rosen und anderen Blumen mit dem Fairtrade-Siegel ging um 23,3 Prozent zurück, wie Claudia Brück, Vorständin von Fairtrade Deutschland, am Dienstag bei der Vorstellung der Bilanz für 2022 erklärte. Nach stetigem Wachstum in den zurückliegenden Jahren, vor allem auch während der Corona-Pandemie, war das ein regelrechter Einbruch.
Dennoch sprach Brück im Blick auf die Gesamtbilanz des fairen Handels „trotz multipler Krisen“ von einer ermutigenden Entwicklung. Der Umsatz habe hierzulande um elf Prozent auf 2,36 Milliarden Euro zugelegt – inflationsbereinigt seien es immerhin noch 5,5 Prozent gewesen.
Die Folgen des Krieges gegen die Ukraine und der Klimakrise „sind in den Ländern deutlich spürbar“, betonte Brück. „Die Fairtrade-Absätze sind deshalb wichtig für die Menschen vor Ort.“ Denn fairer Handel stärke die Widerstandsfähigkeit gegen die Krisen.
Fairer Handel: Der garantierte Mindestpreis für Kaffee soll steigen
Am stärksten wuchs 2022 das Geschäft mit Bananen. Der Verkauf stieg um acht Prozent auf 117 000 Tonnen. Fair gehandelter Kakao verzeichnete ein Plus von vier Prozent auf 81 000 Tonnen. Kalte Mischgetränke legten sogar um fast ein Viertel auf gut 7,3 Millionen Liter zu. Der Handel mit fairem Gold kam auf ein Zuwachs von 43 Prozent – absolut waren das aber erst 16 Kilogramm.
Schokolade büßte sechs Prozent auf knapp 4000 Tonnen ein. Und auch bei Kaffee, dem seit vielen Jahren umsatzstärksten Produkt im Fairtrade-Portfolio, registrierte die Organisation ein Minus von fast zwei Prozent auf gut 24 000 Tonnen.
Der von der Siegelorganisation garantierte Mindestpreis für Kaffee soll von August an dennoch von 1,40 auf 1,80 Dollar pro britischem Pfund steigen, wie Brück erläuterte. Damit trage man den gestiegenen Kosten am Beginn der Lieferkette Rechnung. Die Mindestpreise für die verschiedenen Produkte versteht Fairtrade als ein Art Sicherheitsnetz, um die durchschnittlichen Kosten für eine nachhaltige Produktion zu decken.
Hinzu kommen im Fairtrade-System Prämien, die die Produzentenorganisationen in soziale und ökologische Projekte investieren können.
Fairtrade
Ziel des gemeinnützigen Vereins Fairtrade Deutschland ist es, durch faire Handelsbedingungen die Lebens- und Arbeitssituation von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen im globalen Süden zu verbessern. Er vergibt das Siegel der Fairtrade Labelling Organizations International für deutsche Produkte. Der Verein wird von 35 Mitgliedsorganisationen getragen - darunter kirchliche Einrichtungen, Entwicklungswerke, Stiftungen und Bildungsinstitutionen.
Im Vergleich mit Nachbarländern liegt Deutschland bei den Pro-Kopf-Ausgaben (2021: 25 Euro) für fair gehandelte Waren weit zurück. In Österreich waren es 2021 rund 54 Euro. In der Schweiz 107 Franken. tos
Insgesamt hat Fairtrade Deutschland laut Brück im zurückliegenden Jahr 44 Millionen Euro an Prämien an die Bäuerinnen und Bauern in Afrika, Lateinamerika und Asien ausgeschüttet – zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Zahlungen, die zur Resilienz der Menschen im globalen Süden beitrügen, wie die Vorständin betonte.
Insbesondere die Folgen der Erderwärmung erforderten künftig noch mehr Mittel, um widerstandsfähiger zu werden, sagte Matthias Lehnert, Vorsitzender des Aufsichtsrats von Fairtrade Deutschland. Die Klimakrise gehöre zu den größten Herausforderungen der Fairtrade-Partner. Sie gefährde den Anbau von Produkten wie Kaffee, Kakao und Bananen. Ein Blick nach Ostafrika und die dortige massive Dürre genüge, um zu erkennen, „dass die Klimakrise akut ist“. Anpassungsmaßnahmen an die veränderten klimatischen Bedingungen seien mit massiven Kosten verbunden. „Damit dürfen die Menschen nicht alleine gelassen werden“, forderte Lehnert.
Das künftige Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene „muss alle in die Pflicht nehmen, kostendeckende Preise zu zahlen“. Dafür müssten die Unternehmen ihre Einkaufspraktiken fairer gestalten. Und kleinbäuerliche Gemeinschaften leichter Zugang zu Finanzmitteln bekommen.
Eine der zentralen Herausforderung: Die Lücke zu existenzsichernden Löhnen schließen
Zur Bewältigung der Klimakrise setzt die Fairtrade-Organisation auf partizipative Konzepte. Dazu gehöre es, das Know-how vor Ort zu stärken und gefährdete und marginalisierte Bäuerinnen und Bauern in die Lösungen mit einzubeziehen, wie Juan Pablo Solis, Klimaexperte beim Dachverband Fairtrade International am Dienstag erläuterte. „Anbaupraktiken werden sich ändern müssen.“ Dabei favorisiere Fairtrade das Konzept der Agrarökologie als Grundlage einer nachhaltigen Landwirtschaft und einer gesünderen Umwelt.
Eine weitere zentrale Herausforderung bleibt im globalen Handel auch das Ziel, existenzsichernde Löhne zu zahlen, wie es im Jahresbericht heißt. Denn auch die Mindestpreise schaffen kein Einkommen, mit dem die Kosten für Nahrung, Wasser, Unterkunft, Bildung, medizinische Versorgung, Transport, Bekleidung und andere Grundbedürfnisse gedeckt werden können.
Auf Nachfrage erklärte Vorständin Brück, Fairtrade habe für einzelne Produkte und Länder bereits Referenzpreise ermittelt, die typisch bäuerlichen Haushalten ein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen sollen. Solche Berechnungen gebe es bereits für Kaffee aus Honduras und Indonesien, Kakao aus Ghana und der Elfenbeinküste und Orangensaft aus Brasilien.
Einige Handelsunternehmen gehen mit einzelnen Projekten voran und legen diese Kalkulationen ihrer Preisgestaltung zugrunde. Brück nannte beispielsweise die Schokoladenmarken „Very Fair“ (Penny) und „Choco Changer“ (Aldi). Wer die kauft, trägt dazu bei, dass sich die Lücke hin zu einem existenzsichernden Lohn weiter verkleinert.