Streik in Gräfenhausen: EU-Parlament zeigt sich solidarisch mit Truckern

Die Fahrer in Gräfenhausen erhalten politische Unterstützung aus Straßburg. Die Ampelkoalition in Deutschland will sich für bessere Kontrollen einsetzen.
Der Streik der georgischen und usbekischen Lkw-Fahrer auf der hessischen Autobahnraststätte Gräfenhausen schlägt politisch immer höhere Wellen. Am Dienstag debattierte das Europaparlament in Straßburg den Fall und versicherte den Fahrern, die sich um ihren Lohn betrogen sehen, seine Solidarität. Im Deutschen Bundestag unternehmen die Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP einen Vorstoß, um die Situation der Beschäftigten zu verbessern.
In Gräfenhausen protestieren seit mehr als drei Wochen Trucker und fordern von ihrer polnischen Speditionsfirma ihren Lohn. Mittlerweile sind nach Angaben der Fahrer rund 200 000 Euro an Nachzahlungen geflossen; etwa 100 000 Euro stünden noch aus. Dabei hätten einige Betroffene noch keinen Cent erhalten. Die Gruppe will weiter streiken, bis alle die ausstehenden Zahlungen erhalten haben. Dabei werden sie von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus Deutschland und den Niederlanden unterstützt.
Im Europaparlament stellten sich die Rednerinnen und Redner von den Konservativen bis zur Linkspartei hinter die Fahrer. „Wir ertragen keine Sklavenarbeitsverhältnisse, wie das hier offensichtlich der Fall ist“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Gabriele Bischoff. Das sei nicht nur im Transportsektor zu beobachten. „Es gibt Speditionen, die die Ausbeutung zu ihrem Geschäft gemacht haben“, fügte die Grünen-Politikerin Terry Reintke hinzu. „Dieser ruinöse Preiswettbewerb nach unten, der einzig und allein auf dem Rücken der Fahrer ausgetragen wird, muss gestoppt werden“, forderte der Christdemokrat Dennis Radtke.
Bußgelder erhöhen
Die Linke Özlem Demirel erinnerte an den Versuch des Spediteurs, die Lkws durch den Aufmarsch einer paramilitärischen Gruppe in Gräfenhausen unter seine Kontrolle zu bringen. „Was sich anhört wie ein schlechter Krimi, ist tatsächlich passiert in der EU“, stellte Demirel fest.
Die EU-Kommission stieß ins gleiche Horn. Beschäftigungskommissar Nicolas Schmit sagte, das Gebaren des Unternehmers sei „absolut nicht hinzunehmen“. Er und andere Rednerinnen und Redner spielten den Ball an die nationalen Behörden. Sie seien dafür verantwortlich, die bestehenden Regeln zum Schutz der Beschäftigten durchzusetzen. „Wir brauchen in der Tat sehr viel engmaschigere Kontrollen“, betonte die Grüne Reintke. „Wo sind die deutschen Behörden, wenn wir so einen Fall haben wie hier in Gräfenhausen?“, fragte Christdemokrat Radtke. Sozialdemokratin Bischoff stellte fest: „Was hilft die beste Gesetzgebung, wenn sie nicht richtig implementiert wird auf nationaler Ebene?“
In Deutschland machen sich die Regierungsparteien diese Forderung zu eigen. „Wir können und müssen die Kontrollen weiter verbessern“, heißt es in einem Antrag von SPD, Grünen und FDP, der der FR vorliegt. Zudem sollten die Bußgelder „empfindlich angehoben“ werden, „um den wirtschaftlichen Vorteil tatsächlich erkennbar zu übersteigen“. Der Bund und seine Unternehmen sollten bei der Vergabe eigener Aufträge darauf achten, dass die Transportfirmen soziale Standards einhielten.
„Katastrophale Bedingungen“
Die Ampelparteien dringen auch darauf, „dass Qualität, Sicherheit und Sozialbedingungen auf den Stellplätzen massiv verbessert werden und dem Fahrpersonal ein besserer Zugang zu hygienischen sanitären Anlagen (Toiletten, Duschen, Waschgelegenheiten) ermöglicht wird“. Fahrerinnen und Fahrer beklagen, dass sie auf deutschen Rastplätzen – anders als in einigen anderen europäischen Staaten – für die Nutzung von Toiletten und Duschen bezahlen müssten.
Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Udo Schiefner (SPD), begründete den Antrag der Ampelparteien damit, dass in Teilen des Transportgewerbes „katastrophale Bedingungen“ herrschten. Schiefner sagte der Deutschen Presseagentur: „Auch namhafte deutsche Unternehmen beauftragen Speditionen zu Dumpingpreisen und verschließen die Augen davor, dass solche Angebote bei fairer Bezahlung und Einhaltung aller Regeln nicht möglich wären.“