Energie aus der Tiefe für die Autofabrik

Strom und Wärme aus Geothermie sollen das Opelwerk in Rüsselsheim künftig klimafreundlicher machen. Liefern soll die das Unternehmen Vulcan Energie Ressourcen, das aus Thermalwasser auch Lithium für Autobatterien gewinnen will.
Autokonzerne sind unter starkem öffentlichen Druck klimafreundlicher zu werden. Jüngstes Signal dafür: Vorige Woche hat das EU-Parlament in Straßburg beschlossen, dass in der Europäischen Union von 2035 an keine neuen Benzin- oder Diesel-Pkw mehr verkauft werden dürfen. Doch nicht nur die Fahrzeuge, auch die Autofabriken müssen CO2-frei werden, zumal sich bei Elektrofahrzeugen die Emissionen gegenüber Verbrennern zunehmend in die Herstellungsphase verschieben. Der Autobauer Stellantis will die Energiebilanz im Opel-Stammwerk Rüsselsheim künftig durch Nutzung von Geothermie aufpeppen – mit Erdwärme, die aus tiefen geologischen Schichten gefördert wird.
Praktisch alle Autobauer arbeiten daran, ihre Werke in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln. BMW zum Beispiel errichtete auf dem Gelände seiner Fabrik in Leipzig bereits 2013 Windräder, um Ökostrom für die Produktion zu gewinnen. Die VW-Tochter Audi hat angekündigt, bis 2025 in allen Werken klimaneutral zu produzieren und setzt dabei unter anderem auf Solar- und Biogasanlagen sowie CO2-Ausgleichszertifikate. Mercedes-Benz wiederum hat als Ziel ausgegeben, bis 2030 mehr als 70 Prozent des Energiebedarfs in der Produktion durch Solar- und Windenergie an eigenen Standorten und Grünstromeinkauf zu decken.
Die Nutzung von Geothermie für ein Autowerk in großem Stil jedoch, wie Europas nach VW zweitgrößter Autokonzern Stellantis (Marken unter anderem: Opel, Peugeot, Fiat) sie plant, wäre ein neuer Ansatz. Besonderer Vorteil hierbei ist, dass Strom und Wärme aus dieser Quelle kontinuierlich fließen, also nicht wie bei Wind und Sonne vom Wetter und der Tageszeit abhängen. Die Energie liefern soll das Karlsruher Start-up „Vulcan Energie Ressourcen“, das derzeit in der Autobranche mit einem anderen Projekt Furore macht – einer umweltfreundlichen Gewinnung des Rohstoffs Lithium, der für den Bau von Batterien für Elektrofahrzeuge benötigt wird, und zwar in Deutschland statt in Übersee.
Das australisch-deutsche Unternehmen, an dem Stellantis sich inzwischen beteiligt hat, will an mehreren Standorten im Oberrheingraben aus Thermalwasser hochwertiges Lithiumhydroxid gewinnen, das dann in den Batterien verarbeitet wird. Das Wasser, das dabei aus Tiefen von bis zu 5000 Metern gefördert wird, ist rund 150 Grad heiß. Es kann in Heizkraftwerken zur Produktion von Strom und Wärme genutzt werden. Eine mögliche Standortregion für eine solche Anlage ist das Hessische Ried, gelegen zwischen Mainz und Mannheim – und eben nicht weit von Rüsselsheim, das sich nördlich davon befindet.
Der Oberrheingraben zwischen Basel und Mainz ist die geothermisch heißeste Region in Deutschland, dort lohnt sich die Nutzung der Wärme aus der Tiefe besonders – man muss nicht so tief bohren, um hohe Temperaturen zu erreichen. Derzeit werden dort fünf Anlagen betrieben. Drei sind es auf deutscher Seite, in Bruchsal, Insheim und Landau, zwei auf französischer, in Rittershofen und Soultz-sous-Forêts. Das Hessische Ried ist hier die nördlichste Region mit Potenzial.
Vulcan soll nun in einer ersten Phase bis Mitte 2023 prüfen, ob eine Geothermieanlage zur Versorgung des Opelwerks machbar ist, in dem der Opel Astra und das Modell DS 4 samt deren E-Versionen gebaut werden. So steht es in einem „Eckpunktepapier“, das beide Unternehmen unterzeichnet haben. Das Start-up verfügt nach eigenen Angaben über eine Lizenz, im Ried nach Erdwärme und Lithium zu suchen. Die gewonnene Energie könne nach derzeitigen Annahmen ab 2025 einen „erheblichen“ Teil des Bedarfs in dem Autowerk abdecken, hieß es.
heimisches lithium
Das Alkalimetall Lithium ist ein zentraler Rohstoff für die Produktion von E-Auto-Batterien. Bisher wird es praktisch nur im fernen Ausland und dort mit hohem Energieaufwand sowie großen Umweltschäden gewonnen. Das Karlsruher Unternehmen „Vulcan Energie Ressourcen“ will das mit einer Produktion in Deutschland ändern. Der Rohstoff soll im Oberrheingraben aus heißem, lithiumreichem Thermalwasser gewonnen werden, das gleichzeitig geothermische (Heiz-)Kraftwerke antreibt. Insgesamt will Vulcan acht Anlagen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen bauen. Geplant ist, ab Ende 2025 in die kommerzielle Produktion des Batterierohstoffs einzusteigen. jw
Wo genau das Geothermiekraftwerk entstehen könnte, darüber hält sich Vulcan noch bedeckt. In der ersten Projektphase würden anhand vorhandener geologischer Daten bis Mitte 2023 „verschiedene Zielgebiete“ festgelegt, die dann genauer untersucht würden, hieß es dazu auf FR-Anfrage. Von einem möglichen Standort im Ried soll die Energie dann mit einer unterirdischen Wärmeleitung und eventuell mit einer eigenen Stromtrasse nach Rüsselsheim übertragen werden. Möglich sei auch eine Einspeisung ins öffentliche Netz. Das Opelwerk befindet sich am westlichen Rand der 67 000-Einwohner-Stadt.
Stellantis will sich nach eigenen Angaben mit 50 Prozent an den Kosten der Entwicklung des Energieprojekts beteiligen.
Der Konzern betont, dass dieses auch von der Hessischen Landesregierung unterstützt werde. „Die Partnerschaft mit Vulcan unterstreicht unser Bekenntnis zur Förderung sauberer Energielösungen in unserem Unternehmen“, sagte Stellantis-Vorstandschef Carlos Tavares. Der Konzern mit seinen 14 Marken, der jährlich rund sechs Millionen Autos baut, will seine CO2-Emissionen bis 2030 um die Hälfte senken und bis 2038 klimaneutral werden. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein ließ sich mit lobenden Worten zitieren: „Das ist eine positive Nachricht für Hessen, denn sie zeigt, dass in unserem Bundesland Klimaschutz und modernste industrielle Produktion durch innovative Ideen perfekt miteinander vereinbar sind.“
Wie ein Geothermieprojekt in der Öffentlichkeit ankommt, ist eine andere Frage. Der Umweltverband BUND sieht die Idee, die Energieversorgung eines so großen Verbrauchers wie des Opelwerks auf Erdwärme umzustellen, grundsätzlich positiv. „Das kann neben der Nutzung von Solar- und Windenergie eine gute Option sein“, sagte der energiepolitische Sprecher des BUND Hessen, Werner Neumann, der FR. Zumal geothermische Kraftwerke grundlastfähige Energie lieferten, also rund um die Uhr verfügbar seien. Doch müsse darauf geachtet werden, dass modernste Methoden für die Tiefenbohrungen genutzt werden. Und Naturschutzgebiete, die es im Ried gibt, seien ohnehin tabu.
Neumann verweist aber auf die Probleme, die in der Vergangenheit mit Geothermiekraftwerken aufgetreten sind. Bohrungen lösten zum Beispiel 2006 und 2019 bei Basel und Straßburg Erdbeben aus, Häuser wurden beschädigt. Dabei wurde das sogenannte petrothermale Verfahren genutzt, bei dem man Wasser durch eine Bohrung in den Untergrund presst und das Gestein im Boden aufsprengt. Anders als diese Methode funktioniert das „hydrothermale“ Verfahren, für das bereits vorhandene Wasserwege im Boden genutzt werden. Der BUND-Experte sagte dazu: „Ob Vulcan wirklich fündig wird, muss man erst einmal sehen. Doch in jedem Fall muss das Unternehmen die schonendsten Methoden garantieren.“
Vulcan-Chef Horst Kreuter betonte, das Unternehmen konzentriere sich weiterhin „auf unsere Geothermie-Lithium-Projekte im Herzen des Oberrheingrabens“, die Kooperation mit Stellantis sei aber eine sehr gute Möglichkeit zur Ausweitung. Ein Spaziergang dürfte das Projekt nicht werden. An anderen geplanten Standorten, an denen Vulcan aktiv ist, regt sich Protest, so in der Region zwischen Neustadt und Speyer in Rheinland-Pfalz. Dort befürchten mehrere Bürgerinitiativen den Verlust von Agrarfläche und Lebensqualität. Sie fordern vom Betreiber „den Ausschluss aller Risiken“ wie Erdbeben oder Gebäudeschäden.