„Ein Güterzug kann 52 Lkw ersetzen“

Sven Wellbrock, Vorstand des Logistikunternehmens VTG, fordert von der Ampel-Koalition einen Push für die Schiene, sonst seien die Klimaziele nicht zu schaffen.
Der Güterverkehr in Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Immer mehr Waren werden über immer weitere Strecken transportiert, mehr als 70 Prozent davon per Lkw. Die Ampelkoalition will mehr Geld in die Schiene stecken und den Anteil des Güterverkehrs auf Gleisen bis 2030 von heute rund 18 Prozent auf ein Viertel steigern. Binnen acht Jahren sollen zudem 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert werden.
Herr Wellbrock, Sie sind Vorstand von Europas größtem privaten Eisenbahngüterwagenvermieter und Schienenlogistiker. Sie müssten hochzufrieden in die Zukunft blicken. Die Ampel-Regierung will Güterverkehr in großem Stil auf die Schiene verlagern, aus Klima- und Umweltgründen.
Die Ankündigungen der Bundesregierung freuen mich natürlich. Bisher sieht die Realität nämlich noch immer ganz anders aus. Der Anteil der Schiene am Transportaufkommen ist nach wie vor rückläufig, und der Lkw-Verkehr erreicht neue Rekordmarken. Wichtig sind daher jetzt konkrete Maßnahmen, die aus den Ampel-Zielen zügig abgeleitet werden. Drei Punkte sind dabei aus unserer Sicht zentral: die Infrastruktur zügig modernisieren und ausbauen, faire Wettbewerbsbedingungen für alle Verkehrsträger schaffen und die Schiene konsequent digitalisieren. Nur so kann der Schienengüterverkehr sein Potenzial zur Reduzierung von CO2-Emissionen voll entfalten und zur Erreichung der Klimaziele beitragen.
Die Verlagerung auf die Schiene wurde doch schon von vielen Bundesregierungen angekündigt. Sie wurde nie umgesetzt.
Um es klarzumachen: Ohne einen starken Schienengüterverkehr wird es nicht gelingen, die Klimaziele zu erreichen. Denn das Potenzial der Schiene ist riesig: Ein einzelner Güterzug kann bis zu 52 Lkw ersetzen. Das entlastet Klima und Straße. Hinzu kommt, dass heute bereits über 90 Prozent des Schienengüterverkehrs elektrisch erfolgen. Einen umweltfreundlicheren Verkehrsträger gibt es nicht. Durch einen noch höheren Anteil erneuerbarer Energien am Strommix wird sich die Ökobilanz mittelfristig weiter verbessern.
Auf der Schiene werden aber doch vor allem Massengüter wie Eisenerz oder Metalle transportiert. Ist die Bahn für den modernen Warentransport denn überhaupt flexibel genug?
Die Anforderungen eines modernen und flexibleren Warenverkehrs können wir mit unseren Lösungen gut abdecken. Dazu gehören einerseits modulare Systeme für den kombinierten Verkehr, wodurch sich Lkw-Sattelauflieger und Container effizienter in bestehende Lieferketten auf der Schiene integrieren lassen. Das gilt aber auch für digitale Lösungen. Mit „traigo“, unserer Plattform für den digitalen Schienengüterverkehr, können beispielsweise schon heute Echtzeitinformationen zu angemieteten Waggons und deren Ladung digital abgerufen werden.
Der Dieselsprit für Lkw ist teuer wie nie. Hilft das der Bahn nicht?
Die Spritpreise sind auf Rekordniveau, aber leider steigen parallel auch die Strompreise, wovon wir als Unternehmen massiv betroffen sind. In einigen Ländern Europas haben sich die Kosten für Bahnstrom zuletzt mehr als verdoppelt. Kurzfristig ist in Deutschland der Wegfall der EEG-Umlage für den Schienengüterverkehr eine wirksame Maßnahme. Mittelfristig ließe sich die Ökobilanz hier durch einen Ausbau der erneuerbaren Energien und einen grüneren Strommix noch weiter verbessern. Dies würde uns bei einem steigenden CO2-Preis Wettbewerbsvorteile verschaffen und damit auch wieder auf die Erreichung der Klimaziele einzahlen.
zur person
Sven Wellbrock ist Vorstand der Hamburger VTG AG, Europas größtem privaten Eisenbahngüterwagenvermietungs- und Schienenlogistikunternehmen. Er verantwortet unter anderem die Geschäftsfelder Waggonvermietung und Schienenlogistik in Europa. Wellbrock ist bereits seit 2002 bei der VTG. Zuvor arbeitete der Diplom-Wirtschaftsingenieur für den Preussag-Konzern. jw
Eine Erhöhung der Maut für Lastkraftwagen halten Sie nicht für sinnvoll?
Doch. Die CO2-basierte Lkw-Maut könnte ein Hebel sein, um die Verkehrsverlagerung auf die Schiene schneller zu erreichen. Ebenso wäre eine Abschaffung des steuerlichen Dieselprivilegs zu bedenken. Es ist aber am Ende die Aufgabe der Politik, den richtigen Instrumentenmix für einen fairen Wettbewerb der Verkehrsträger zu finden.

Was müsste die Ampel denn im Detail tun, damit sie keine Ankündigungsregierung bleibt?
Erstens muss die Attraktivität des kombinierten Verkehrs gesteigert werden, bei dem nur kurze Strecken per Lkw und die langen per Bahn erledigt werden, etwa durch die Erneuerung und Verbesserung der Infrastruktur. Zweitens braucht es eine standardisierte Länge und Verlademöglichkeit von neuen Sattelaufliegern, um sie überhaupt per Bahn transportieren zu können. Dies und die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) in der Fläche sowie weitere Digitalisierungsmaßnahmen sorgen für eine nahtlose, sichere und zuverlässige Verknüpfung von Güterwagen und anderen Verkehrsträgern. Doch diese Vorhaben erfordern hohe Investitionen. Ohne Förderprogramme wird sich die DAK nicht durchsetzen können. Drittens brauchen wir den Ausbau des europäischen Zugkontrollsystems ETCS. Der vernetzte Schienenverkehr der Zukunft stoppt nicht an einer Grenze zum Nachbarland.
Sie wollen auch, dass die Schienenwege ausgebaut werden und mehr Gewerbegebiete mit Bahnanschluss nachgerüstet werden. Das braucht nach der bisherigen Erfahrung viele Jahre. Ist diese Strategie überhaupt realistisch?
Ich meine ja. Wer den grünen Schienengüterverkehr will, muss ihm auch die Schienen dafür geben. Und mehr Anschlüsse für Unternehmen in der Fläche sind schlichtweg notwendig, um Waren per Bahn transportieren zu können. Diese Investitionen lohnen sich. Denn bereits jetzt werden durch die Förderung des kombinierten Verkehrs jedes Jahr zwei Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermieden.
Züge, vor allem Güterzüge, sind nicht nur umweltfreundlich: Die Anrainer von vielbefahrenen Strecken, zum Beispiel im Rheintal, können ein Lied davon singen. Sie werden von mehr Güterverkehr kaum begeistert sein.
Der Lärm war zugegebenermaßen lange Zeit die Achillesferse des Schienengüterverkehrs. Deshalb haben alle Akteure in Deutschland bis Ende 2020 alle Wagen auf leise Bremsen umgerüstet. Den Lärm, wie man ihn früher kannte, gibt es so nicht mehr. Diese und weitere Maßnahmen wie Lärmschutzwände sorgen dafür, die Akzeptanz der Schiene weiter zu steigern.
Bürgerinitiativen im Rheintal haben doch gerade erst wieder wegen der Lärmbelastung protestiert. Was sagen Sie denen?
Der Grund ist hier, dass die Verkehrsmengen zunehmen. Anderswo sinken sie zum Teil. Diesen Konflikt werden wir auch nicht auflösen können. Wir leisten unseren Beitrag bei diesem Thema durch die kontinuierliche Weiterentwicklung und Instandhaltung unserer Waggons. Außerdem braucht es gezielten Lärmschutz an vielbefahrenen Trassen.
Interview: Joachim Wille