Ein digitaler Pass für Pkws

Deutschland soll Vorreiter beim Recycling werden - das fordert eine wirtschaftsnahe Stiftung und appelliert an die künftige Bundesregierung.
Klimaneutralität bis 2045 ist in Deutschland Gesetz. Erreicht werden kann die „Netto-Null“ beim Treibhausgas-Ausstoß aber nur, wenn auch der Rohstoffverbrauch der Wirtschaft sinkt – durch den Übergang zur Kreislaufwirtschaft, in der Materialien bestmöglich wiederverwendet werden und praktisch kein Abfall mehr entsteht. Die wirtschaftsnahe „Stiftung 2°“ fordert von der künftigen Bundesregierung nun, Deutschland zum „Vorreiter und Technologieführer“ dieser „Circular Economy“ zu machen. Dies steht in einem Papier, das im Dialog mit 14 Unternehmen aus der Automobil-, Chemie- und Recycling-Industrie entstanden ist und den Verhandler:innen für eine Ampel-Koalition zugestellt wurde. Beteiligt waren etwa die Konzerne Audi, Celonis, Lanxess und Interseroh.
Kreislaufwirtschaft: Nur 13 Prozent der Rohstoffe werden recycelt
Konkret geht es um die Einführung eines „digitalen Produktpasses“ etwa für Autos und andere Fahrzeuge. Dieser soll es Recyclern ermöglichen, die darin verbauten Materialien – wie Stahl, Aluminium, Kunststoffe, Chemikalien – bei der Demontage sortenrein zu trennen, aufzuarbeiten und den Herstellern wieder für neue Produkte zur Verfügung zu stellen. Über Konzepte zu dem Pass, der national und auf EU-Ebene funktionieren soll, hat die Stiftung intensiv mit den Unternehmen in Workshops und Dialogen gearbeitet.
Digitale Produktpässe gelten sowohl in Deutschland wie auch auf europäischer Ebene als Schlüssel, um die notwendige Transparenz für Ressourcen- und Klimaschutz herzustellen, ein hochwertiges Recycling umzusetzen und nachhaltige Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Derzeit werden in Europas Wirtschaft erst rund 13 Prozent der in der Wirtschaft eingesetzten Rohstoffe im Kreislauf geführt, also recycelt und wieder für Neuprodukte eingesetzt. Die EU-Kommission hat im Rahmen ihres „Green Deal“ angekündigt, die Produktpässe einzuführen. In Deutschland beschäftigen sich das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium damit, zudem gibt es Initiativen in Wirtschaft und Wissenschaft dazu.
Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung, sagte: „Die neue Bundesregierung sollte sich zum Ziel setzen, Deutschland zum Vorreiter bei der Entwicklung eines digitalen Produktpasses zu machen.“ Dafür müsse endlich eine verantwortliche Stelle geschaffen werden. In den Ampel-Sondierungen sei viel von Klimaschutz und Digitalisierung die Rede gewesen, ohne eine Verbindung dazu herzustellen. „Wir präsentieren nun konkrete Vorschläge, wie man beides sinnvoll und nachhaltig miteinander verbinden kann“, sagte Nallinger.
Kreislaufwirtschaft: Produktpässe in Modellprojekten erproben
Überlegungen zu Produktpässen gibt es vor allem für Branchen wie die Auto-, die Bau- und die Kunststoffindustrie, die einen hohen Ressourceneinsatz haben. Alexander Maak vom Recyclingkonzern Interseroh erläutert: „Je komplexer das Produkt ist, desto sinnvoller ist ein Produktpass.“ Auf Autos trifft das besonders zu. Sie bestehen heute aus rund 10 000 Einzelteilen aus unterschiedlichen Materialien, wobei Metalllegierungen aus Eisen und Aluminium den Löwenanteil ausmachen. Der Kunststoffanteil ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen.
Die Stiftung fordert die neue Regierung auf, „eine Roadmap Digitaler Produktpass“ aufzustellen. Um den Ausweis möglichst praxisnah und handhabbar umzusetzen, sollten die betroffenen Unternehmen eng eingebunden und nationale und europäische Initiativen besser miteinander verschränkt werden. Maak dazu: „Der Dialog mit den Anwendern – den Unternehmen – ist bisher zu kurz gekommen. Die neue Bundesregierung sollte hier Anreize schaffen, damit dieses nützliche Instrument schnell weite Verbreitung findet.“
Empfohlen wird, die Produktpässe in groß angelegten Modellprojekten praxisnah zu erproben. Mittel zur Umsetzung einer solchen Strategie seien durchaus vorhanden, zum Beispiel im Rahmen des Corona-Konjunkturpaketes für den Automobilsektor. Hier gehe es um „mehrere Milliarden, die unter anderem für Investitionen in die Digitalisierung der Fahrzeughersteller und Zulieferer vorgesehen“ seien.