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Wegen Klage von Bananenbauern: Chemie-Werke beschlagnahmt

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Von: Steffen Höhne

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Beschlagnahmt: das Chemiewerk in Schkopau, Sachsen-Anhalt.
Beschlagnahmt: das Chemiewerk in Schkopau, Sachsen-Anhalt. © Imago Images

Bananenbauern aus Nicaragua verklagen den US-Konzern Dow, weil Pestizide auf Plantagen zu Impotenz führten. Ein Gericht reagiert.

Diesen Besuch werden die Manager des Chemie-Unternehmens Dow Olefinverbund so schnell nicht vergessen: Am 9. Oktober stand der Gerichtsvollzieher vor ihrer Tür, um Anlagen in Schkopau (Saalekreis) und Böhlen (Sachsen) zu pfänden. Dabei handelte es sich nicht um einen Scherz, sondern um eine Anweisung des Amtsgerichts Merseburg, wie ein Gerichtssprecher bestätigte. Der Beschluss der Richter sei bereits am 1. Oktober gefallen.

Sachsen-Anhalts größtes Chemie-Unternehmen mit 1700 Mitarbeitern hat jedoch nicht versäumt, Rechnungen zu zahlen oder ist in einem Rechtsstreit. Bananenbauern aus Nicaragua fordern Schadenersatz, den Dow Olefinverbund für den US-Mutterkonzern Dow Chemicals leisten soll. Dabei geht es nicht um Kleingeld, sondern um 945 Millionen US-Dollar (860 Millionen Euro).

Pestizide stehen im Verdacht Krebs auszulösen

Wie der Kunststoff-Hersteller in den Rechtsstreit in Nicaragua verwickelt wurde, ist eine komplizierte Geschichte, die bereits in den 60er Jahren beginnt. Damals belieferten der US-Konzern Dow und andere Chemie-Firmen die Plantagen mit den Pestiziden Fumazone und Nemagon. Das Wurmgift mit dem Wirkstoff Dibromchlorpropan (DBCP) wurde eingesetzt, um Fadenwürmer im Wurzelbereich der Pflanzen zu bekämpfen. Nach verschiedenen Medienberichten aus den vergangenen Jahrzehnten wurde das Gift von den Bauern teilweise per Hand ausgebracht.

Die Pestizide stehen im Verdacht Krebs auszulösen. Fumazone gilt als sogenannter „Spermienkiller“. Zumindest werfen tausende Plantagenarbeiter Dow vor, durch den Kontakt mit DBPC unfruchtbar geworden zu sein. Viele Bauern klagten gegen Dow und gewannen die Prozesse häufig auch. „Doch das nützte vielfach nichts, weil US-Gerichte die Urteile aus Mittelamerika nicht anerkannten“, sagt der Berliner Anwalt Christoph Partsch.

Das Unternehmen
Dow Olefinverbund ging im Jahr 1995 aus der Privatisierung der Buna-Werke, den Ölwerken Böhlen und Teilen der Leunawerke hervor. Im Werk Böhlen befindet sich das „Herzstück“ des Olefinverbundes – der Cracker. Auf Basis von Rohbenzin werden hier chemische Grundstoffe wie Ethylen und Propylen hergestellt, die an den Standorten Schkopau und Leuna unter anderem zu Kunststoffen weiterverarbeitet werden. Das Unternehmen beschäftigt rund 1700 Mitarbeiter.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Jana-Maria Wernitzki versucht er, die Ansprüche von 1245 Bananenbauern in Europa durchzusetzen. Nach seinen Angaben hat ein Gericht in Paris die Klage angenommen und eine einstweilige Verfügung erlassen, nach der die Forderung von 945 Millionen Dollar beschlagnahmt werden kann. Partsch und sein Team suchten anschießend nach passenden Vermögenswerten um und wurden in Schkopau fündig. „An dem Werk in Schkopau ist die US-Mutter zu 20 Prozent direkt beteiligt“, sagt der Anwalt. 80 Prozent gehörten einer Dow-Tochter in den Niederlanden. Vor dem Amtsgericht Merseburg erwirkte der Anwalt einen sogenannten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss für die direkte Beteiligung. Da es sich um einen Firmenanteil handelt, klebt auch kein Pfändungssiegel (Kuckuck) auf Anlagen oder Maschinen.

Das Amtsgericht Merseburg prüfte den Fall laut des Gerichtssprechers nicht erneut. Eine Vereinbarung der Europäischen Union sieht eine gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen vor. Entschieden ist in der Sache allerdings noch nichts, die Hauptverhandlung in Frankreich läuft erst noch.

Menschenrechte für Bananenbauern in Nicaragua

Der US-Konzern ist zuversichtlich, dass er die Ansprüche aus Nicaragua abwehren kann. Auf Anfrage teilte das Unternehmen mit: „Dow ist zuversichtlich, dass das französische Gericht den rechtswidrigen Pfändungsbeschluss aufheben wird.“ Verschiedene Gerichte hätten sich wiederholt geweigert, ähnliche nicaraguanische Urteile durchzusetzen, da Dow grundlegende Rechte in Bezug auf ein ordentliches Gerichtsverfahren in Nicaragua verweigert wurden.

Die Arbeit im Werk läuft weiter. „Wir wollen weder dem Werk noch den Mitarbeitern schaden“, sagt Partsch. Es gehe allein darum, die Forderungen der Plantagenarbeiter durchzusetzen. Solange der Sicherungsbeschluss gelte, sagt Partsch, könnten keine Gewinne aus dem deutschen Werk herausgezogen werden.

Nach Angaben des Anwalts ist Dow Olefinverbund der erste Fall in Deutschland, in dem der sogenannte „lange Arm“ wirkt. Dabei handelt es sich um eine Rechtsauffassung, die bisher vor allem von US-Gerichten angewendet wurde. 2013 wurden Manager der Schweizer Bank Wegelin angeklagt, die US-Bürger dabei geholfen haben sollen, Steuern zu hinterziehen. Wegelin zahlten 20 Millionen US-Dollar in einem Vergleich, obwohl die Bank keine Niederlassung in den USA besaß.

Das Gericht in Frankreich sieht sich nun laut Partsch auch in Umwelt- und Menschenrechtsfragen für Bananenbauern in Nicaragua zuständig. Partsch gibt sich kämpferisch: „Falls wir gewinnen, gibt es sicher viele Interessenten für den Anteil am Chemiewerk in Schkopau.“

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