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Drohende Ernährungskrise – Umweltministerin will Einsatz von Biosprit begrenzen

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Von: Joachim Wille

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Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Getreideknappheit will die Ampel-Regierung die Nutzung von Biokraftstoffen zurückdrängen.

Berlin – Die „Tank oder Teller“-Debatte verschärft sich. Der Grund: Der Ukraine-Krieg und die deswegen sinkenden Getreidelieferungen auf den Weltmarkt, unter denen besonders Entwicklungsländer leiden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) plant deshalb, den Einsatz von Agrosprit aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen hierzulande zu reduzieren. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) plädierte dafür, den Getreideanbau für Kraftstoffe angesichts der sich durch den Ukraine-Krieg zuspitzenden Ernährungskrise zurückzufahren. Die Branche wehrt sich.

Lemke sagte in einem Interview: „Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung, das führt uns der Krieg in der Ukraine dramatisch vor Augen.“ Gerade im globalen Süden würden Menschen bereits unter der fehlenden Verfügbarkeit von Getreide leiden. Es liege „in unserer Verantwortung als großer Industriestaat, dass Agrarflächen für die Produktion von Nahrungsmitteln und nicht für den Tank genutzt werden.“

Ukraine-Krieg führt zu Getreideknappheit: Klima-Entlastung durch Biokraftstoffe umstritten

Die Ministerin kündigte an, die Verwendung von Agrarerzeugnissen als Kraftstoffzusätze einzuschränken. Sie arbeite mit dem Landwirtschaftsministerium daran. Auch Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) ist als Kritiker von Biosprit bekannt: „Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten“, sagte er kürzlich. Schulze, die in der letzten Merkel-Groko Umweltministerin war, argumentiert ähnlich.

Derzeit werden Agrokraftstoffe dem Sprit aus Erdöl zugesetzt, um die CO2-Bilanz zu verbessern. Bei Benzin sind es bis zu zehn Prozent Bioethanol („E 10“ an der Tanksäule), der zumeist aus Getreide wie Weizen oder Roggen oder aus Zuckerrüben gewonnen wird, bei Diesel sieben Prozent Pflanzenöl-Erzeugnisse, die aus Raps- oder Palmöl stammen. Da diese Produkte auch zu Lebensmitteln verarbeitet werden können, läuft seit längeren eine Debatte, ob dies ethisch vertretbar ist. Außerdem ist die Klima-Entlastungswirkung umstritten, besonders bei Palmöl. Um die Plantagen anzulegen, wird in den Anbauländern oftmals Regenwald vernichtet.

„Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung“, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). (Archivfoto)
„Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung“, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). (Archivfoto) © Bernd von Jutrczenka/dpa

Lemke erinnerte daran, dass hierzulande ab 2023 die Verwendung von Palmöl als Kraftstoffzusatz im Diesel nicht mehr als Biosprit anerkannt werde. Sie wolle nun „den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren“. Laut ihrem Ministerium werden im Schnitt rund neun Prozent der Weltgetreideernte zu Agrosprit verarbeitet. Bei Mais und Zuckerrüben liegt der Anteil danach bei 14 Prozent.

Ukraine-Krieg: Verband der Biokraftstoffindustrie wehrt sich

Unterstützung finden Lemke und Schulze bei Umweltverbänden. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, forderte, Agrokraftstoffe „mit sofortiger Wirkung vollständig und dauerhaft aus der Förderung zu nehmen“. Eine Studie im Auftrag der DUH hatte jüngst ergeben, dass aktuell mehr als 1,2 Millionen Hektar Agrarflächen weltweit für den Anbau von Raps, Getreide und Co. zur Produktion von Agrosprit belegt sind. „Dieser immense Flächenverbrauch macht den angeblichen Klimavorteil von Agrokraftstoff gegenüber fossilem Sprit mehr als zunichte“, so die Studie des Heidelberger Ifeu-Instituts. Hauptargument: Auf den Flächen könne sich sonst auch natürliche Vegetation entwickeln, die CO2 aus der Atmosphäre binde.

Aus der Union kam Kritik am Kurs der Ampel-Minister:innen. CSU-Energieexperte Andreas Lenz warnte vor einem Verzicht auf Agrosprit: „Biokraftstoffe verringern den Bedarf an fossilen Kraftstoffen deutlich und leisten damit einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und weniger Abhängigkeiten“, sagte er. Auch der Verband der Biokraftstoffindustrie wehrte sich gegen die Pläne. Sein Geschäftsführer Elmar Baumann sagte: „Ohne Biokraftstoffe werden die gesetzlichen Vorgaben zum Klimaschutz auf Jahre krachend verfehlt.“ Zudem hätten die Hersteller die Produktion wegen der hohen Rohstoffpreise bereits eingeschränkt.

Ukraine-Krieg: Biomethan ersetzt teilweise russisches Erdgas

Der Biosprit- und Biogas-Hersteller Verbio aus Zörbig (Sachsen-Anhalt) betonte, er nutze für die Produktion schon aus Kostengründen „vor allem minderwertige Getreide-Qualitäten und kein Brotgetreide“. Zudem setze man für den Ausbau der Produktion auf Agrar-Reststoffe wie Schlempe und Getreidestroh.

In diesem Sektor ist Verbio nach eigenen Angaben weltweit der größte Produzent. In den Anlagen entstünden pro Jahr rund 100 Millionen Kubikmeter Biomethan aus Reststoffen in Erdgasqualität und mit über 90 Prozent CO2-Einsparung. Damit werde bereits heute einen Teil des Erdgases aus Russland ersetzt. (Joachim Wille)

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