Die Tücken der Sharing-Economy

„Mit Teilen allein werden wir unsere Nachhaltigkeitsprobleme nicht lösen“, sagt der Ökonom Jonas Pentzien. Im Interview mit Frauke Rüth erklärt er, welche umweltfreundlichen Alternative zum Kaufen es sonst noch gibt
Herr Pentzien, ich habe mir heute ein Fahrrad geliehen, um zur Arbeit zu fahren, trage ein Kleid aus dem Second-Hand-Laden, und zur Vorbereitung auf dieses Interview war ich in der Bücherei. Wie sinnvoll ist es, sich Dinge mit anderen zu teilen?
Der Grundgedanke des Teilens ist gut, klar. Das lässt sich an Beispielen zeigen: In Deutschland etwa steht das Auto die meiste Zeit des Tages ungenutzt auf der Straße und ein Akkubohrer wird im Lauf seiner Lebensspanne nur rund zwölf Minuten genutzt. Wenn sich mehrere Menschen ein Auto oder den Akkubohrer teilen und damit dazu beizutragen, unseren Bedarf an Gütern so zu organisieren, dass wir nicht alles gleichzeitig besitzen müssen und nur dann auf sie zurückgreifen, wenn wir sie auch wirklich brauchen, dann kann dadurch der Gesamtkonsum sinken – und das ergibt aus sozial-ökologischer Sicht Sinn.
Wenn Teilen grundsätzlich gut ist – wo ist dann das Problem der Sharing Economy?
Schwierig ist, dass so vieles unter dem Begriff Sharing zusammenfasst wird: das gemeinsame Nutzen von Produkten, das Verleihen, das Vermieten, die Bereitstellung von Arbeitskraft. Dabei wird gar nicht immer geteilt. Nehmen wir zum Beispiel Airbnb: Da geht es ja nicht wirklich um das gemeinsame Nutzen. Die Tourist:innen wollen günstiger wohnen als in einem Hotel, das Ziel der Vermieter:innen ist es, Geld zu verdienen, die Betreiber:innen der Plattformen suchen nach Gewinnmöglichkeiten. Das Grundproblem ist: Die kommerziellen Plattformen verlangen ein Mehr – Nachhaltigkeit aber verlangt ein Weniger. Ihr Geschäftsmodell steht damit im Widerspruch zu sozial-ökologischen Ansätzen. Und damit wird auch die Grundlage geschaffen für das, was ich „Sharing Washing“ nenne.
Können Sie das bitte genauer erklären?
In der Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren ein Bewusstseinswandel stattgefunden: Sharing hat nicht nur etwas mit Sparen zu tun, sondern gilt als Teil eines hippen Lebensstils. Plattformen wie etwa Uber teilen aber nicht auf umweltfreundliche Art, sondern vermitteln schlicht klassische Taxifahrten gegen Geld. Wenn nun gezielt versucht wird, über die Mobilisierung des gesellschaftlich positiv besetzten Begriffs des Sharings das Image der Firma positiver, grüner darzustellen, dann ist das Sharing Washing.
Wie erkenne ich das?
Man sollte sich immer bewusst anschauen: Was für konkrete Nachhaltigkeitseffekte hat die jeweilige Firma eigentlich? Unter dem Nachhaltigkeitsaspekt betrachtet, lautet die zentrale Frage nämlich nicht: Nutzen Menschen das, weil es günstiger ist? Sondern: Was machen sie im nächsten Schritt mit dem Geld, das sie eingespart haben? Fahren sie noch häufiger in den Urlaub, kaufen sie von dem eingesparten Geld noch ein T-Shirt? Das bezeichnet man als Rebound-Effekt. Wenn durch Sharing-Angebote noch mehr konsumiert wird als vorher, kann das die eigentlich positiven ökologischen Aspekte der Sharing Economy womöglich wieder wettmachen.
Die Besitzerin eines Secondhand-Mode-Geschäfts erzählt, die Kleidung käme manchmal noch in derselben Saison zu ihr, in der sie auch regulär verkauft wurde, teils mit Preisschild dran. Mit dem daran verdienten Geld werde direkt weitergeshoppt. Macht man sich selbst etwas vor, wenn man ein gutes Gewissen beim Kauf von Second-Hand-Klamotten hat?
Beim Secondhand-Kleidungskauf sehen wir tatsächlich, dass es den Mehrkonsum befördert. Unseren Untersuchungen zufolge kaufen durchschnittliche Nutzer:innen einer Secondhand-Plattform etwa 0,2 Kilogramm mehr T-Shirts, als sie es ohne die Plattform getan hätten. Es gibt aber auch gute Nachrichten: Obwohl Vintagemode-Plattformen zu mehr Konsum verleiten können, verringern sie auf das Jahr gerechnet trotzdem die Umweltlast der Kund:innen. Denn der größte ökologische Vorteil ist, dass keine Neuware produziert wird. Trotzdem muss man aus nachhaltiger Perspektive auch an diese Lebensweise ran: Es reicht nicht, nur die Kleidung über Secondhand-Plattformen zu kaufen – man muss insgesamt weniger kaufen.
Wie sieht es beim Auto-Sharing aus?
Wir haben das für privates Car-Sharing untersucht, etwa die Plattform Getaround, bei dem Privatleute ihre Autos an andere Privatleute vermieten und für privates Ridesharing, wo man zum Beispiel über BlaBlaCar bei einer anderen Person im Auto mitfährt. Der grundsätzliche Nachteil für die Umwelt beim Carsharing ist: Wer überall ein Auto mieten kann, fährt häufiger und nutzt weniger die klimafreundlichere Bahn. Im Durchschnitt werden so gut 70 Kilometer zusätzlich im Jahr zurückgelegt. Der ökologische Vorteil aber ist: Oft schaffen Leute den eigenen Pkw ganz ab und sparen so etwa 96 Kilogramm CO2 -Äquivalente pro Jahr und Person ein. Auch beim privaten Ridesharing gibt es Vorteile: So lassen sich die Emissionen eines Pkws auf mehrere Menschen verteilen und damit rund 97 Kilogramm CO2 pro Jahr und Person einsparen.

Das klingt doch gut.
Das ist natürlich positiv – sollte aber nicht überschätzt werden. Über Car-Sharing kann im Vergleich zu anderen Mobilitätsbereichen nur ein geringer Beitrag zum Klimaschutz erreicht werden: Ein einzelner Passagier verursacht auf einem Flug von München nach Berlin schon allein rund 154 Kilogramm CO2.
Was ist die Konsequenz? Brauchen wir bessere Gesetze?
Ja. Im Fall des Wohnungs-Sharings brauchen wir verpflichtende Registrierungssysteme und eine Offenlegung der Daten; das ist bisher zu intransparent. Der Europäische Gerichtshof hat 2020 entschieden, dass die Kommunen Kurzzeitvermietungen an Tourist:innen in Städten mit angespanntem Immobilienmarkt einschränken dürfen, um die Wohnungsnot in Paris, Berlin oder München zu bekämpfen. Viele Stadtverwaltungen verpflichten auch schon dazu, auf Airbnb gelistete Wohnungen bei sich zu registrieren. Es ist jedoch sehr schwierig, dies in der Realität zu überprüfen oder die Besitzer:innen dazu anzuhalten, ihre Wohnungen auf dem regulären Mietmarkt anzubieten. Ich denke: Um die Sharing-Economy insgesamt nachhaltiger zu machen, braucht es mehr als nur Ordnungsrecht. Es kann nicht nur darum gehen, die bestehenden Plattformen zu regulieren. Die haben so viele Tricks, ihr Geschäftsmodell doch wieder so anzupassen, dass sie dem entgehen können. Es braucht qualitativ andere Plattformen: die auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind und die die Teilhabe der Nutzer:innen ermöglichen.
Das sind ja die klassischen genossenschaftlichen Prinzipien: Die Mitglieder sind gleichzeitig die Eigner, es gibt kollektives Eigentum und eine demokratische Entscheidungsfindung.
Ja. Es muss aber gar nicht alles genossenschaftlich aufgebaut sein. Das können auch Plattformen sein, die von Kommunen entwickelt werden. Wichtig ist, dass das Plattformmodell allen zugänglich gemacht wird und die Öffentlichkeit die Möglichkeiten hat, mitzubestimmen, welche Regeln dort herrschen. Die Hoffnung dabei ist, dass man dadurch auch die Nachhaltigkeitspotenziale erhöhen kann.
Existieren solche Sharing-Angebote denn schon?
Das ist eine stark wachsende Bewegung. Es gibt weltweit über 500 Beispiele, sei es in Europa, Südamerika und in den USA. Für die New Yorker The Drivers Cooperative etwa haben sich 2020 rund 4000 Fahrer:innen zusammengetan, um eine Alternative zu Uber und Lyft aufzubauen. Sie haben über eine Million Dollar durch Crowdfunding eingenommen und einiges an Aufmerksamkeit erregt: So hat die Politikerin der Demokraten Alexandria Ocasio-Cortez die Plattform ausdrücklich empfohlen. In Europa kann man etwa Ferienunterkünfte von fairbnb.coop wählen. Dort sind Anbieter:innen, Nutzer:innen, Kommunen und Anwohner:innen Mitglieder und entscheiden gemeinsam: Wie viel Tourismus will man in dem Viertel, was geschieht mit den Daten? Als Gegenmodell zu Lieferando ist CoopCycle empfehlenswert, ein Zusammenschluss aus über 70 lokalen, fair organisierten Lieferdiensten; in Europa sind derzeit 59 Städte dort gelistet. Im Kunst-und Kultur-Bereich gibt es als nachhaltige Alternative zu Angeboten wie Patreon das soziale Netzwerk Ampled.com, auf dem die Musiker:innen direkt unterstützt werden und Bands und Nutzer:innen gleichberechtigt mitbestimmen – ohne, dass ein Unternehmen im Hintergrund die Profite einstreicht.
Kann man also von gutem und von schlechtem Teilen sprechen?
Ja, durchaus. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass wir unsere Nachhaltigkeitsprobleme mit Sharing allein nicht lösen können. Aber: Alternative Plattformen sind vielversprechend, bei denen die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, mitzubestimmen, welche Regeln herrschen und bei denen die Menschen selbst entscheiden, wie sie miteinander umgehen wollen. Das wichtigste Gut der Sharing Economy ist menschlicher Zusammenhalt.