Die Krisengewinnler

Die Reedereien haben in den vergangenen Jahren von massiv steigenden Frachtraten profitiert. Nun könnte sich das Geschäft normalisieren. Die Branche steht vor Herausforderungen.
Die bislang veröffentlichten Bilanzen der großen Reedereien weisen erneut einen dicken Goldrand auf. Nachdem im Jahr 2021 die Branche dank hoher Frachtraten schätzungsweise 150 Milliarden Euro Gewinn einfahren konnte, lief das abgelaufene Jahr noch besser. Zu den Elefanten in der Branche gehört Hapag-Lloyd, weltweit die Nummer fünf. Die Hamburger Reederei meldet einen Gewinn von 17,5 Milliarden Euro. Zwei Drittel davon sollen als Dividende ausgeschüttet werden. Allein die Stadt Hamburg bekommt 1,5 Milliarden Euro.
Die maritime Logistik profitiert – nach einer zehnjährigen Flaute – von den Krisen der vergangenen drei Jahre. Die Corona-Pandemie hatte in Nordamerika und Westeuropa die Nachfrage nach Laptops, Möbeln und Spielzeug aus Asien in die Höhe getrieben. „Die Schifffahrt sicherte in der Krise die Versorgung“, betonte Geschäftsführer Martin Kröger am Mittwoch auf der Pressekonferenz des Verbands der Deutschen Reeder (VDR) in Hamburg. In der Containerschifffahrt belegt Deutschland nach Anzahl der Schiffe vor China Platz eins.
Schiffsraum wurde knapp und knapper und daher sehr teuer. Verstopfte Häfen und dadurch entstehende Staus auf den Ozeanen verstärkten die Engpässe. Lieferkettenprobleme der Industrie halfen Topkonzernen wie Hapag-Lloyd zusätzlich, da sie einen umfassenden Haus-zu-Haus-Service und verlässliche Fahrpläne anbieten, im Bedarfsfall sogar per Flugzeug. Der Ukraine-Krieg führte dann vor einem Jahr zu weiteren Engpässen auf den Weltmeeren.
„Wir müssen wieder kämpfen um jeden Bock“
Kostete der Transport eines Standardcontainers von Schanghai nach Hamburg laut „World Container Index“ im Januar 2020 noch rund 2000 US-Dollar, kletterten die Preise in der Spitze bis auf rund 15 000 Dollar. Doch die märchenhaften Zeiten nähern sich ihrem Ende, ist Rolf Habben Jansen überzeugt. Weltweit seien „die Lager voll“ – Großhandel und Industrie bestellen daher aktuell bei ihren Lieferanten weniger Waren.
Entsprechend sinke die Nachfrage nach Schiffsraum, sagte der niederländische Vorstandschef von Hapag-Lloyd kürzlich. Im Herbst und Winter 2022 hätten die internationalen Frachtraten bereits wieder deutlich nachgegeben, und 2023 werde „ein ganz normaler Markt“. „Wir müssen wieder kämpfen um jeden Bock“, so Habben Jansen.
Auf den Weltmeeren sind spürbar weniger Container unterwegs als zu Hochzeiten im vergangenen Jahr, bestätigt das Kieler Institut für Weltwirtschaft in seiner Januar-Analyse. Wohl auch, weil Unternehmen auf Bahn und Flugzeug ausgewichen sind. Infolgedessen sei auch die Menge der im Stau befindlichen Güter spürbar auf Vorkrisenniveau gesunken.
Mit Blick nach vorne sieht die Hapag-Spitze zwar kein Ende der Globalisierung voraus, aber eine Veränderung. Viele Kunden der größten deutschen Reederei wollten weniger in China ordern, um ihre Lieferketten widerstandsfähiger zu machen. China sei nicht mehr „der“ Treiber des Welthandels. Diese Rolle traut Heiko Hoffmann, Chefanalyst des Konzerns, perspektivisch eher Indien zu. Dort sieht Hapag-Lloyd für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre erhebliches Wachstumspotenzial. Auch weil in dem bald bevölkerungsreichsten Land der Erde Container noch eine Nischenrolle spielen. Kürzlich kauften sich die Hamburger, denen 252 Frachter gehören, in den indischen Logistikkonzern JM Baxi ein, der mehrere Hafenterminals betreibt.
294 Reedereien in Deutschland
Auch die Klima-Herausforderungen verändern die Globalisierung. Die zuständige Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO hatte bereits 2018 als erste Industriebranche ein weltweites Klimaziel beschlossen: Die Emissionen sollen bis 2050 um die Hälfte sinken. VDR-Präsidentin Gaby Bornheim glaubt, dass die IMO im Sommer ihr Ziel auf „klimaneutral“ nachjustiert. Was angesichts der langen Lebensdauer der Schiffe von etwa 30 Jahren durchaus ehrgeizig ist.
Zumal die Mehrzahl nicht der Handvoll Konsortien gehört, in denen sich die Reedereigiganten zusammengeschlossen haben und die den globalen Handel dominieren, sondern wirtschaftlich schwächeren Betreibern aus dem globalen Süden. Selbst in Deutschland sind die allermeisten der 294 Reedereien Mittelständler mit nur ein, zwei Schiffen.
Ende November zog die Europäische Union bei der Dekarbonisierung nach. Demnach sollen ab 2024 alle Schiffe, die europäische Häfen anlaufen, schrittweise in den Emissionshandel einbezogen werden. Wind und Batterie gelten Fachleuten für den Überseeverkehr freilich als technisch ungeeignet. Moderne Motoren können allerdings mit LNG betrieben werden.
Das verflüssigte Erdgas wird zwar von Umweltverbänden kritisch gesehen. Aber die Industrie sieht darin die einzige Möglichkeit, flott den Anteil von CO2, Schwefel und Feinstaub in den Abgasen zu senken. Perspektivisch könnten dann neuartige Antriebe und E-Fuels wie Wasserstoff oder Ammoniak zum Einsatz kommen. Weil man bislang nicht den Treibstoff der Zukunft kenne, sagte Bornheim, zögerten deutsche Reeder jedoch mit der Bestellung von neuen Schiffen. Hier sei auch die Politik gefordert.
Im Frühjahr steigen traditionell die Umschlagzahlen der Reedereien wieder und damit die Frachtraten. Und die werden mittelfristig höher als in der Vergangenheit ausfallen, erwartet die Branche. Dafür sorgen steigende Energiekosten und die Dekarbonisierung. Die Phase der billigen Seefahrt sei vorbei, ist der Reederverband überzeugt.