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Deutsche Bahn: „Unsere Mitarbeitenden wollen auf der guten Seite der Macht stehen“

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Von: Anna Laura Müller

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Stefanie Berk (links) und Iris Braun (rechts) bei der Vorstellung der „Lieblingsgast-Schokolade“ in Frankfurt am Main.
Stefanie Berk (links) und Iris Braun (rechts) bei der Vorstellung der „Lieblingsgast-Schokolade“ in Frankfurt am Main. © Christoph Boeckheler

Stefanie Berk von der Deutschen Bahn und Iris Braun von Share sprechen über Hürden bei der Nachhaltigkeit, die Zusammenarbeit zwischen großen und kleinen Unternehmen und Schokolade in der ersten Klasse.

Die recycelbaren Wasserflaschen von Share befinden sich schon seit 2020 an Bord der Fernzüge der Deutschen Bahn. Jetzt stellen die beiden Unternehmen in Kooperation auch das Gastgeschenk in den Fernzugwagen der ersten Klasse: ein kleines Stück Schokolade. Share versteht sich als „Social Impact Unternehmen“ und arbeitet nach dem sogenannten 1+1-Prinzip: Beim Kauf eines Produktes wird gleichermaßen an verschiedene soziale Projekte gespendet. Mit den Spenden aus der „Lieblingsgast-Schokolade“ unterstützen die zwei Unternehmen jetzt die Tafeln in Deutschland. Pro verteiltes Täfelchen soll eine Portion Lebensmittel gerettet werden. Die Deutsche Bahn sieht das neue Gastgeschenk als einen weiteren Schritt in ihrer „grünen Transformation“. Aber wie viel macht ein kleines Stück Schokolade dabei wirklich aus? Ein Gespräch mit Iris Braun von Share und Stefanie Berk von der DB über deren Nachhaltigkeitsziele und darüber, wie eine Zusammenarbeit zwischen einem relativ jungen Unternehmen und dem Konzernriesen funktioniert.

Frau Braun, wann ist ein Unternehmen nachhaltig, und wann geht es nur um das Image?

Braun: Wir als Share sind als Social Impact Unternehmen aufgestellt und das bedeutet für uns, dass wir wirtschaftliche Ziele und gesellschaftliche Ziele gleichermaßen priorisieren. Je mehr der nachhaltige Gedanke und die Ziele tatsächlich im Kerngeschäft des Unternehmens verankert sind, umso nachhaltiger ist es dann auch. Letztendlich geht es aber darum, dass Nachhaltigkeit nicht als Last empfunden wird, sondern idealerweise das gesamte Mindset und die Herangehensweise ändert, wie man im Geschäft operiert.

Und wie sehen Sie das, Frau Berk?

Berk : Die Deutsche Bahn ist eines der nachhaltigsten Unternehmen Deutschlands, und letztendlich ist jede Bahnfahrt aktiver Klimaschutz. Viele Menschen haben nach wie vor nicht auf dem Schirm, dass insbesondere der Fernverkehr schon seit 2018 mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs ist. Das heißt noch nicht, dass wir als Gesamtunternehmen klimaneutral sind. Bis 2040 werden wir das auch mit dem gesamten Bahnkonzern erreicht haben. Wir schauen uns dahingehend alle Aspekte unserer Wertschöpfung an und haben einen Masterplan, wie wir die grüne Transformation unseres Unternehmens vorantreiben.

Wo setzen Sie da an?

Berk: Ein Bereich, der dabei sehr wichtig ist, weil er sehr sichtbar für den Gast ist, ist die Bordgastronomie, wo wir jetzt Stück für Stück eben die grüne Transformation gestalten. Wir haben zum ersten Januar eine Mehrwegoption mit echtem Geschirr und Gläsern eingeführt, die von den Gästen sehr gut angenommen wird. Auch die Speisekarte versuchen wir grüner zu gestalten. Vegetarische und vegane Gerichte nehmen eine immer größere Rolle ein. Und ebenfalls zum ersten Januar haben wir den konsequenten Schritt gemacht, unsere Züge papierfrei zu machen. Also haben wir die vielen Tonnen Papier, die in Form von Zeitungen und Magazinen in der Vergangenheit an Bord zu finden waren, verbannt und sind auf digitale Versionen umgestiegen.

Wenn diese nachhaltigen Produkte dann vor allem an Bord präsent sind, hat es dann nicht doch etwas mit dem Image nach außen zu tun?

Berk: Es geht hier um Erlebbarkeit. 100 Prozent Ökostrom kann man nicht erleben. Zwar gibt es an den Zügen Hinweise auf den Ökostrom, aber das ist nicht immer selbsterklärend. Ein grüner Aspekt der Bordgastronomie ist hingegen sehr gut erlebbar und dann sieht man eben auch, was das Unternehmen eigentlich Schritt für Schritt sonst noch unternimmt. Der größere Beitrag ist tatsächlich die Verkehrsverlagerung auf die klimafreundliche Schiene, also die Verdopplung unserer Reisendenzahlen, die wir uns als Ziel gesetzt haben und der wir uns jetzt durch das weitere Wachstum auch nähern. Das ist der große Schritt, mit dem wir wirklich CO2 einsparen in Deutschland. Nichtsdestotrotz sind auch die kleinen Schritte wichtig und symbolträchtig.

Die Verpackung des neuen Gastgeschenks besteht zu mindestens 95 Prozent aus Papier, andere Verpackungen von Share sind aber noch aus recyceltem Plastik. Ist da also noch Luft nach oben?

Braun: Beim Thema Nachhaltigkeit ist immer noch Luft nach oben. Ich freue mich aber, dass es da technisch vorangeht. 2018 haben wir als erstes deutsches Unternehmen die 100 Prozent recycelte Wasserflasche auf den deutschen Markt gebracht. Damals wurde uns gesagt, dass das technisch gar nicht möglich ist. Mittlerweile ist das Standard auf dem Markt. Und so entwickelt sich auch bei den flexiblen Verpackungen vieles weiter: In Richtung Umstellung auf andere Materialien, die in der Umwelt keinen Schaden anrichten, wie das mit Papier der Fall ist. Aber auch im Bereich recycelbare und recycelte Plastikverpackungen. Ich will Plastikverpackungen auch nicht grundsätzlich verteufeln. Wenn die im Kreislauf bleiben, kann das auch Vorteile haben. Neu ist bei der Lieblingsgast-Schokolade, dass die Verpackung nach dem Verzehr auch wirklich in den Papiermüll geworfen werden soll. Aber das heißt natürlich nicht, dass das jetzt für alle Bereiche schon die finale Lösung ist.

Frau Berk, Luft nach oben gibt es bei Ihnen sicherlich auch. Der „100 Prozent Ökostrom“, den Sie öffentlichkeitswirksam bewerben, kommt bei Ihnen aus einem Strommix. Und bei dem liegt der Anteil der erneuerbaren Energien derzeit bei knapp 60 Prozent. Ist das dann nicht letztlich eine Mogelpackung?

Berk: Dann haben Sie zu Hause auch keinen Ökostrom, wenn Sie so argumentieren. Das, was aus der Steckdose kommt, ist immer ein Strommix. Solange wir es in Deutschland noch nicht schaffen, komplett erneuerbar zu sein, wird das so bleiben. Wir sind als Deutsche Bahn deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt und kaufen alles ein, was es am Markt gibt. Wir erhöhen diesen Strommixanteil jetzt sukzessive mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Der Fernverkehr fährt mit 100 Prozent Ökostrom und lässt sich das auch einiges kosten. Wir sind 100 Prozent ökostromfähig, der höchste Anteil davon ist Wasserkraft. Wir sind eines derjenigen Unternehmen, die bereits seit geraumer Zeit auf Ökostrom setzen. Insofern – nein, das ist keine Mogelpackung.

Zu den Personen

Stefanie Berk ist Vorständin im Marketing bei der Deutschen Bahn Fernverkehr AG. Davor arbeitete sie unter anderem für Thomas Cook und DERTour.

Iris Braun hat 2018 Share mitgegründet. Das in Berlin ansässige „Social Impact Unternehmen“ vertreibt unter anderem Mineralwasser, Schokoriegel und Hygieneprodukte. Pro Kauf wird jeweils ein ähnliches Produkt an soziale Projekte gespendet. Zuvor forschte Braun zu finanzieller Entwicklung in Schwellenländern. FR

Und abseits des Fernverkehrs?

Berk: Im Güter- und Nahverkehr sind natürlich noch viele Dieselloks im Einsatz, weil wir teilweise nicht-elektrifizierte Strecken haben. Wir haben in Deutschland leider eine der niedrigsten Elektrifizierungsquoten. Wenn Sie überall hinfahren möchten, müssen Sie im Moment noch eine Diesellok benutzen, aber die werden sukzessive umgestellt auf alternative Kraftstoffe.

Bei der Kooperation von Share und DB steht ein großer Konzernriese einem viel kleineren Unternehmen gegenüber. Funktioniert da die Zusammenarbeit auf Augenhöhe überhaupt?

Braun: Auf jeden Fall. Ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, dass hinter jedem Konzern auch Menschen stehen. Wir haben als Share die Erfahrung gemacht, dass es immer Leute in den großen Unternehmen braucht, die solche Projekte wirklich intrinsisch motiviert nach vorne treiben und deren erste Priorität es ist zu sagen: „Jetzt ändern wir was.“ Es gibt natürlich auch Sachen, die können wir nicht so gut wie große Unternehmen: Wir haben nicht so tiefe Taschen, und für uns ist es schwierig, einen Zehn-Jahres-Plan zu machen. Dafür können wir Wandel schnell nach vorne bringen. Beim Gastgeschenk haben wir neue Sachen bei der Verpackung ausprobiert. Und die Deutsche Bahn ist da absolut mitgegangen.

Berk: Umweltschutz ist definitiv ein Teil der DNA der Bahn. Und unsere Mitarbeitenden sind extrem purpose-getrieben. Für die ist es unheimlich wichtig, an einer guten Sache mitzuarbeiten. Nicht nur bei den Start-ups gibt es also diese Mentalität. Viele gerade unserer jungen Mitarbeitenden kommen zur Bahn, weil sie auf der guten Seite der Macht sein wollen.

Bei all dem sozialen und nachhaltigen Anspruch schreibt Share bisher noch keine schwarzen Zahlen. Wie gefährlich ist der Druck, wirtschaftlich handeln zu müssen, für Ihre sozialen Ziele?

Braun: Wir sind bewusst als Unternehmen aufgestellt und nicht als Verein. Wir möchten unabhängig bleiben und investieren deshalb gerade sehr viel in Wachstum. Denn wo viele Menschen jeden Tag an kleinen Schrauben drehen, da kann wirklich was Großes draus entstehen. Für uns ist es dabei auch wichtig, dass wir eine gewisse Größe erreichen, damit wir es schaffen, uns selbst zu tragen.

Wann sind Sie jeweils schon an Ihre Grenzen gestoßen und konnten eine gute Idee in Sachen Nachhaltigkeit nicht umsetzen?

Berk: Die meisten unserer Investitionen sind langfristiger Natur. Beispielsweise bauen wir neue Instandhaltungswerke jetzt komplett nachhaltig – mit grünem Beton und anderen nachhaltig produzierten Rohstoffen –, da wo sie verfügbar sind. Aber alle wollen im Moment gleichzeitig diese Transformation hinbekommen. Die Lieferketten geben das gerade gar nicht her. Ich bin insofern auch ein ungeduldiger Mensch und hätte es gerne schneller. Wir fangen jetzt aber überall dort an, wo es jetzt schon machbar ist.

Braun: Wir bei Share scheitern zum Teil an den Gesetzen. Manche Dinge funktionieren einfach nicht ohne die systemische Lösung. Bei Verpackungen müssen wir beispielsweise noch oft schauen, ob es überhaupt Sinn macht, auf bestimmte Recycling-Materialien zu setzen. Es bringt uns nichts, wenn wir eine biologisch abbaubare Verpackung haben und die wird dann am Ende wieder vom Recyclingsystem raussortiert. Ohne Rahmengesetzgebungen dauert es viel zu lange, bis sich alle Marktteilnehmer koordiniert haben und untereinander bilaterale Lösungen gefunden haben. Und das ist dann auch nicht wirtschaftlich.

Wie kann es denn stattdessen funktionieren?

Berk: Ich glaube, unserer Wirtschaft und auch unserer Gesellschaft wäre sehr geholfen, wenn CO2 mehr zu einer Währung würde. So dass jede und jeder im Hinterkopf hat und weiß, wie viel Emissionen bei welchen Dingen ausgestoßen werden. Und dann alle bewusster mit der jeweils ausgelösten CO2-Belastung umgehen. Das ist noch nicht der Fall, aber ich bin mir sicher, da werden wir in Kürze hinkommen.

Braun: Und wir müssen es einfacher machen. Das Thema Nachhaltigkeit ist leider sehr komplex. Wir können nicht erwarten, dass jeder Mensch in Deutschland oder auch weltweit alles von vorne bis hinten versteht und nachvollziehen kann. Das ist auch das, was wir letztendlich mit Share und auch gemeinsam mit der Deutschen Bahn machen wollen: Wir sagen den Menschen direkt, was am Ende dabei rauskommt, wenn sie sich für ein Produkt entscheiden. Sie müssen sich um nichts weiter kümmern. Von diesen einfachen Lösungen muss es noch viel mehr geben.

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