Der Exportüberschuss bricht ein

Deutschland zahlt im vergangenen Jahr wegen der hohen Energiekosten deutlich mehr für den Import von Waren. Die Kritik an seiner Leistungsbilanz ist damit verstummt – vorerst.
Die gestiegenen Kosten für Energie und andere Rohstoffe haben im vergangenen Jahr nicht nur die privaten Haushalte ärmer gemacht. Sie trieben auch die deutsche Importrechnung in die Höhe. Das ließ den traditionell hohen Exportüberschuss im vergangenen Jahr einbrechen. Die internationale Kritik an den deutschen Überschüssen ist daher zunächst verstummt. Allerdings dürften sie in den nächsten Jahren wieder zulegen.
Jahrelang führten die hohen deutschen Überschüsse im Außenhandel zu Unzufriedenheit nicht nur bei Politikerinnen und Politikern im Ausland, sondern auch beim Internationalen Währungsfonds. Deutschland bereichere sich zu Lasten seiner Handelspartner, hieß es. Denn das Plus im Außenhandel ließ auch den Überschuss in der Leistungsbilanz anschwellen, der allein 2021 über 260 Milliarden Euro betrug. Das bedeutet: Deutschland baute immer mehr Forderungen gegenüber anderen Ländern auf, insbesondere in der Eurozone. Spiegelbildlich verschuldete sich das Ausland immer mehr gegenüber Deutschland. 2019 veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium sogar ein Gutachten über die „wirtschaftspolitischen Probleme der deutschen Leistungsbilanz“, um der Kritik zu begegnen.
Deutsche Leistungsbilanz: Importgüter verteuerten sich 2022 um ein Viertel
Doch dieses Problem scheint sich zunächst erledigt zu haben. Bei den Ausfuhren hat sich der Trend seit einigen Jahren gedreht. Laut Statistischem Bundesamt sinkt der Überschuss seit 2016. Im vergangenen Jahr ist er regelrecht eingebrochen. Dies lag zum einen daran, dass – inflationsbereinigt – die deutschen Exporte nur um 3,2 Prozent zunahmen, die Importe dagegen um mehr als das Doppelte. Dazu kam, dass die Preise für deutsche Ausfuhrgüter laut den Statistiken um 14,6 Prozent stiegen, Importgüter dagegen verteuerten sich um über ein Viertel. Ursache waren vor allem die gestiegenen Rohstoffpreise, die die Einfuhren aus nicht-europäischen Staaten um ein Drittel gegenüber 2021 anschwellen ließen. Sogar die Importe aus Russland stiegen, trotz aller Sanktionen, um über sechs Prozent.
Im Ergebnis stieg Deutschlands Importrechnung im vergangenen Jahr um 24 Prozent, die Exporteure nahmen nur 14 Prozent mehr ein. Dies ließ den Außenhandelsüberschuss auf 79,7 Milliarden Euro sinken. „Das war der niedrigste Saldo aus Exporten und Importen seit dem Jahr 2000“, so das Statistische Bundesamt. Gegenüber dem Vorjahr habe er sich mehr als halbiert.
Exportüberschuss: Ungleichgewicht durch hohe Forderungen gegenüber dem Ausland sinkt
Das hat allerdings auch einen positiven Effekt. Denn mit dem Plus in der Güterhandelsbilanz sinkt auch der Überschuss der deutschen Leistungsbilanz. Er entspricht dem Zuwachs an deutschen Forderungen gegenüber dem Ausland. 2015 hatte der Leistungsbilanzüberschuss einen Rekordstand von 8,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreicht, 2021 betrug er immer noch 7,4 Prozent. Werte über sechs Prozent gelten gemäß EU-Definition als „makroökonomisches Ungleichgewicht“. Denn wenn Deutschland hohe Forderungen gegenüber dem Ausland aufbaut, bedeutet dies gleichzeitig, dass das Ausland immer höhere Schulden bei Deutschland hat.

Der sinkende Außenhandelsüberschuss lässt nun den Leistungsbilanzüberschuss kräftig schrumpfen. Teilweise kompensiert wird das durch stetig steigende Einkommen aus dem Ausland, vor allem durch Kapitalerträge ausländischer Direktinvestitionen deutscher Adressen. Auch sie gehen in die Leistungsbilanz ein. In der Summe, so die Bundesbank am Freitag, ging der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands im Jahr 2022 auf 145,1 Milliarden Euro zurück. Gegenüber dem Vorjahr war dies ein Rückgang von 45 Prozent. Historisch vergleichbar ist dieser drastische Rückgang lediglich mit dem Wiedervereinigungsboom, der die deutschen Importe in die Höhe schnellen ließ.
Mit rund 3,8 Prozent des BIP blieb der deutsche Leistungsbilanzüberschuss damit innerhalb der Vorgaben der EU. Das Münchener Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo erwartet allerdings, dass sich sowohl die deutschen Exporte wie auch die Exportpreise in den nächsten Jahren wieder stärker erholen. Für 2024 rechnet das Ifo derzeit mit einem Überschuss von 166 Milliarden Euro, das entspräche wieder vier Prozent des BIP. Insgesamt bedeutet das: Deutschland baut weiter Forderungen gegenüber dem Ausland auf, nur langsamer.