„Das schnelle Facelift in der Mittagspause ist eine Illusion“

Schönheitschirurg Steffen Handstein über die Risiken ästhetisch-plastischer Operationen, den Corona-Faktor bei solchen Eingriffen und warum Patientinnen und Patienten in den USA zeigen wollen, dass etwas gemacht wurde, die in Deutschland aber nicht.
An das Tragen medizinischer Masken haben sich die meisten Menschen inzwischen zwar gewöhnt, dennoch dürften wohl fast alle froh sein, wenn die Mundschutzpflicht irgendwann wieder entfällt. Dabei hat sie auch einen selten erwähnten Vorteil: Man kann darunter Dinge verstecken, etwa kleine Blutergüsse oder Schwellungen. Steffen Handstein ist Schönheitschirurg und Präsident der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC). Im Interview redet er über eine durch die Corona-Pandemie veränderte Körperwahrnehmung und unterschätzte Risiken von Schönheits-Eingriffen.
Herr Dr. Handstein, Anfang des Jahres gab es viele Schlagzeilen wie „Boom der Schönheits-OPs im Lockdown“. Dabei stimmt das laut Zahlen Ihrer Vereinigung so ja nicht. Demnach gab es 2020 deutlich weniger große Schönheitsoperationen, aber dafür tatsächlich mehr minimal-invasive Eingriffe, vor allem im Gesicht.
Zunächst muss ich festhalten: Die Datenlage in Deutschland ist schlecht. Es gibt keine repräsentativen Erhebungen zur Anzahl der plastisch-ästhetischen Behandlungen oder zum finanziellen Volumen dieses Marktes. Alles, was wir haben, sind Schätzungen – und die Befragung der Mitglieder unseres Verbandes, der die größte Fachärztegesellschaft des Bereichs ist. Daraus können wir aber natürlich Tendenzen ablesen. Die Zahl operativer Eingriffe, also etwa Bodyliftings, Brustvergrößerungen oder Fettabsaugungen, ist über die vergangenen Jahre hinweg relativ stabil geblieben. Im vergangenen Jahr gab es einen deutlichen Rückgang, weil viele aufschiebbare Operationen wegen Corona ja einfach nicht mehr möglich waren.
Gibt es dann dieses Jahr Nachholeffekte?
Ja, das ist sicher so.
Es gibt Vermutungen, dass es deutlich mehr Fettabsaugungen geben könnte, da viele Menschen in den Lockdowns stark zugenommen haben.
Also das halte ich für eine mutige Einschätzung, da müssen wir mal abwarten. Da gibt es vielleicht auch eine falsche Wahrnehmung. Plastisch-ästhetische Chirurgen nehmen körperformende Maßnahmen vor. Auf der Waage bemerkt man davon eher wenig. Diese Operationen sind nicht geeignet für die Gewichtsbeeinflussung, sondern für die Körperformung. Wer viel Gewicht verlieren möchte, müsste sich eher an ein Adipositas-Zentrum wenden, etwa für eine Magenverkleinerung.
Kommen wir zurück zum Jahr 2020. Da erlebten minimalinvasive Gesichtsbehandlungen, etwa Faltenbehandlungen mit Botox oder Hyaluron, Oberlidstraffungen, Facelifts einen Anstieg, vor allem auch bei Männern. Hat sich der Trend in diesem Jahr so fortgesetzt?
Ja, der hält an. Die Zahl dieser Eingriffe steigt ohnehin seit vielen Jahren. Das Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, es ist akzeptierter. Es ist aber so, dass solche Eingriffe selten einer Spontan-Entscheidung entspringen. Die Menschen tragen sich meistens schon länger mit dem Gedanken. Die Corona-Lage hat die Entscheidungen aber sicherlich beeinflusst und teils beschleunigt. Das Homeoffice hat dazu geführt, dass man sich über Zoom oder Teams mehr selbst ins Gesicht schaut. Dazu dann noch in einem im Regelfall nicht im Ansatz gut ausgeleuchteten Umfeld. Da wird die Aufmerksamkeit schnell auf die Makel gelenkt. Hinzu kommt, dass man im Homeoffice oder unter der Maske die ersten Nebenwirkungen von Eingriffen, etwa Schwellungen, gut verstecken kann. Da fühlt sich dann selbst die Lehrerin, die sonst genau beobachtet wird, etwas freier für einen Eingriff.
Zur Person
Steffen Handstein ist Präsident der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC). Sie ist die größte Fachgesellschaft Ästhetisch-Plastischer Chirurgen in Deutschland. Die Mitglieder sind sowohl niedergelassene Ärzte als auch Klinikärzte auf dem Fachgebiet Plastische und Ästhetische Chirurgie.
An der Klinik für Plastische, rekonstruktive und Brustchirurgie des Städtischen Klinikums Görlitz ist Handstein Chefarzt. Diese ist eine führende Anlaufstelle für die Behandlung von Brustkrebserkrankungen. Zudem hat Handstein eine Privatpraxis in Dresden. nl
Ästhetische Eingriffe
Rund 25 Millionen Eingriffe , so schätzt die International Society of Plastic Surgery (ISAPS) in den USA, wurden im Vor-Coronajahr 2019 weltweit vorgenommen, davon 11,4 Millionen Schönheitsoperationen sowie 13,6 Millionen minimalinvasive Eingriffe. Im Jahr 2011 waren es nur 14,7 Millionen.
Besonders beliebt sind bei operativen Eingriffen Brustvergrößerung, Fettabsaugung, Lidplastik und Bauchstraffung, bei minimalinvasiven OPs die Anwendung von Botox und Hyaluron sowie die Haarentfernung.
Knapp ein Drittel aller ästhetisch-plastischen Behandlungen weltweit finden in den USA oder Brasilien statt. Für Deutschland schätzt die ISAPS, dass 2019 insgesamt mehr als 983 000 Eingriffe vorgenommen wurden – rund 336 000 Operationen und 647 000 minimalinvasive Behandlungen. nl
Was glauben Sie, wird es in zehn Jahren so sein, dass man mit über 50 auffällt, wenn man nichts an sich hat machen lassen?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt unbehandelte 60-Jährige, die top aussehen und behandelte 60-Jährige, die alt ausschauen. Man darf auch niemals vergessen, dass auch minimalinvasive Eingriffe Risiken mit sich bringen, das unterschätzen viele Menschen. Das schnelle, unkomplizierte Facelift in der Mittagspause ist eine Illusion. Das sind komplexe Prozesse, die oft über mehrere Jahre gehen, wenn man wirklich etwas erreichen möchte.
Sie haben Risiken angesprochen. Bei der Befragung Ihrer Mitglieder kam heraus, dass etwa 14 Prozent der Patientinnen und Patienten zur Korrekturbehandlung zu Ihnen kamen, also, weil sie unzufrieden mit dem Ergebnis einer Operation bei einem anderen Arzt waren. Sind es oft Operationen im Ausland, die schieflaufen?
Es wäre falsch zu sagen: Der Pfusch kommt nur aus dem Ausland. In Nachbarländern gibt es gut qualifizierte Kollegen. Aber für Patientinnen und Patienten ist es doch schon alleine wegen der Sprache oft schwierig, dort den passenden Arzt zu finden. Und oft ist es so, dass bei uns dann Patientinnen und Patienten vorsprechen, deren Erwartungen einfach nicht erfüllt wurden – weil die aber vielleicht auch unrealistisch waren. Da haben Kommunikation und Aufklärung einfach nicht geklappt und das liegt oft an Sprachbarrieren.
Was raten Sie denn Interessierten: Wie können sie es vermeiden, an schwarze Schafe zu geraten und einen guten Arzt finden?
Ich würde immer empfehlen, einen Facharzt für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie aufzusuchen. Das sind die einzigen Ärzte mit der entsprechend strukturierten Weiterbildung. Es gibt absurde Dinge in Deutschland. So ist es etwa erlaubt, dass Heilpraktiker das Medizinprodukt Hyaluronsäure anwenden, das zur Faltenunterspritzung genutzt wird. Sie dürfen aber mögliche Komplikationen nicht behandeln, weil man dafür verschreibungspflichtige Medikamente benötigt. Die Komplikationen sind zwar selten, können aber gravierend sein: Gefäßverschlüsse, Gefahr der Erblindung bis hin zu Todesfällen. Man muss in diesem Fall sehr schnell reagieren, hat nur wenige Stunden. Ich rate Patientinnen wirklich, zu Fachärzten zu gehen und Risiken nie zu unterschätzen. Das ist übrigens eine Gefahr der sozialen Medien. Es ist gar nicht so, dass wir viele Patientinnen haben, die eine neue Nase wollen, nur weil eine Influencerin die auch hat. Aber es ist durchaus so, dass junge Menschen meinen, es reiche, wenn ein Influencer ihnen in einem Video die Risiken eines Eingriffs erklärt. Dem ist nicht so. Ich empfehle immer ein persönliches Gespräch mit einem Facharzt, der dann auch Alternativen aufzeigen kann.
Würden Sie sich wünschen, dass nur noch entsprechende Fachärzte solche Schönheitseingriffe vornehmen dürften?
Das wäre das Ideal, auch wenn uns als Verband da natürlich vorgehalten wird, wir würden das aus eigenem Gewinnstreben sagen. Aber es geht um die Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Und es wäre zumindest ein gutes Zeichen, wenn zum Beispiel sogenannte Filler-Materialien wie Hyaluronsäure als Medikamente deklariert würden und verschreibungspflichtig wären, damit nicht jedermann sie bestellen und einsetzen kann.
Laut Internationaler Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (ISAPS) mit Sitz in den USA gehört Deutschland zu den Ländern mit den meisten Schönheits-OPs. Die Top-10-Länder waren zuletzt die USA, Brasilien, Japan, Mexiko, Italien, Deutschland, Türkei, Frankreich, Indien und Russland. So weit oben in der Liste hätte ich Deutschland gar nicht gesehen …
Das liegt vermutlich daran, dass in Deutschland bei solchen Eingriffen das Ziel ist, dass sie eben niemand bemerkt. Es soll natürlich aussehen, die Behandelten wollen nicht auffallen. In den USA etwa ist das durchaus anders: Da wollen die Menschen, dass gesehen wird, was gemacht wurde und dass es teuer war. Sonst ist es wohl für sie rausgeworfenes Geld. Bei kulturellen Unterschieden müssen Sie aber nicht einmal so weit gucken: Auch innerhalb von Deutschland gibt es noch deutliche Unterschiede. In Ostdeutschland sind Eingriffe seltener als in Westdeutschland, was sicherlich auch an den weiter bestehenden Einkommensunterschieden liegt. Aber auch daran, dass es im Osten offenbar noch nicht so akzeptiert ist wie im Westen Deutschlands.
Interview: Nina Luttmer