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"Cool sind nicht mehr die mit dem dicken Wagen"

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Von: Thorsten Knuf

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Nextbike-Fahrräder in Berlin.
Nextbike-Fahrräder in Berlin. © imago

Nextbike-Chef Ralf Kalupner über den Boom der Leihfahrräder, Datenschutz und die Konkurrenz aus China.

Ralf Kalupner empfängt den Besucher im Gartenhaus eines Altbaus in Leipzig. Hier arbeiten mehrere kaufmännische Abteilungen seines Leihfahrrad-Unternehmens Nextbike, und hier hat Kalupner die Firma vor 13 Jahren gemeinsam mit einem Partner gegründet. In dem Raum schraubten die Gründer ehedem auch ihre ersten Fahrräder zusammen. Inzwischen ist das Gartenhaus zu klein geworden. In Kürze will das Unternehmen neue Geschäftsräume beziehen.

Herr Kalupner, wo steht Ihr Auto?
Ich habe gar keins. Hier in der Stadt lege ich fast alle Wege mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Für Ausflüge oder Reisen nehme ich in der Regel die Bahn. Wenn es dienstlich in die Ferne geht, fliege ich.

Hört sich gut an. Aber wenn Sie etwas transportieren müssen, dürfte dieses Modell schnell an seine Grenzen stoßen.
Den normalen Einkauf kann man in der Stadt problemlos mit dem Fahrrad erledigen. Wenn es mal etwas mehr wird, nehme ich ein Lastenfahrrad. Damit lässt sich locker der große Wocheneinkauf für die ganze Familie bewegen, inklusive Getränkekisten. Wir haben hier im Unternehmen auch ein Auto. Das kann sich wie beim Carsharing jeder leihen, der es gerade braucht. Ich mache das aber eher selten, vielleicht einmal im Monat. Sollte das Auto mal nicht frei sein, gibt es ja auch immer noch Taxis.

So wie Sie ticken immer mehr Menschen. Man entscheidet je nach Situation, welches Verkehrsmittel das zweckmäßigste ist. Das Fahrrad spielt dabei eine zentrale Rolle. Aus diesem Grund entstehen überall Leihfahrrad-Systeme. Was ist da los?
Niemand steht gern mit dem Auto im Stau und niemand verschwendet gern seine Zeit mit der Suche nach einem Parkplatz. Hinzu kommt, dass wir vor allem in Europa einen regelrechten Kulturwandel erleben: Das Auto hat in den Städten als Statussymbol stark an Bedeutung verloren. Cool sind nicht mehr diejenigen, die mit einem dicken Wagen vorfahren. Sondern diejenigen, die aktiv und flexibel sind. Radfahren ist umweltfreundlich, gesund und billig. Fahrräder verursachen keine Abgase, keinen Lärm und nehmen nur wenig Raum ein. Auf kurzen Strecken ist das Rad allen anderen Verkehrsmitteln überlegen. Wenn man es dann noch intelligent mit dem öffentlichen Nahverkehr verknüpft, ist es unschlagbar. Das ist der eine Punkt.

Und der andere?
Erst der Siegeszug des Smartphones hat den Leihfahrrad-Boom möglich gemacht. Das Gleiche gilt natürlich auch für andere Branchen der Sharing Economy, etwa für Autoverleiher oder Fahrdienst-Vermittler. Heute kann jeder mit einem internetfähigen Mobiltelefon in Windeseile Reisen planen und schauen, welche Verkehrsmittel kurzfristig zur Verfügung stehen. Die Smartphone-App zeigt Ihnen, wo das nächste Leihfahrrad steht und wie Sie dahin kommen. Sie können mit der App das Rad ausleihen, haben stets die Kosten im Blick und können gleich den Anbieter kontaktieren, wenn ein Problem auftritt.

Die ersten Smartphones kamen vor zehn Jahren auf den Markt. Ihr Unternehmen gibt es aber schon seit 13 Jahren. Wie haben Sie früher gearbeitet?
Angefangen haben wir mit einem SMS-System, später gab es dann eines mit Tonwahl. Das ist übrigens immer noch aktiv, weil ja nicht jeder ein Smartphone hat. Vor allem aber konnte man mit den Handys damals noch keine Fahrräder suchen. Man musste wissen, wo sich die Stationen befanden. Das ist heute anders. Selbst in fremden Städten wird man vom Smartphone nun schnell zum nächsten Leihfahrrad geführt. All das macht die Leihsysteme natürlich auch für viel mehr Leute attraktiv, zumal auch immer mehr Räder in den Städten verfügbar sind.

Wie stellt man sich den typischen Leihfahrrad-Kunden vor?
Vor zehn Jahren waren das überwiegend Leute im mittleren Alter, die ohnehin schon überzeugte Radler waren. Die haben dann mal ein Fahrrad gemietet, wenn sie ihr eigenes gerade nicht dabei hatten. Oft waren das Touristen oder Wochenendausflügler. Heute sind Leute aus allen Altersgruppen und Schichten mit Leihfahrrädern unterwegs.

Junge und Alte, Wohlhabende und weniger Betuchte, Normalos und hippe Typen. Die nehmen sich je nach Situation sehr spontan ein Rad, weil sie möglichst schnell und ohne großen Aufwand an ihr Ziel kommen wollen. Häufig wird das Leihfahrrad auch mit Bus oder Bahn kombiniert: Man fährt mit den Öffentlichen in die Innenstadt und bewegt sich dann mit dem Rad weiter. Wir verstehen uns selbst auch als Teil des öffentlichen Nahverkehrs.

Sie sind in Deutschland in fast 50 Städten präsent, zum Teil konkurrieren sie dort mit anderen Anbietern. Ist der Markt irgendwann gesättigt?
Bisher sehe ich dafür keine Anzeichen. Für uns sind Städte genauso interessant wie ländliche Regionen. Es gibt noch eine ganze Reihe Kommunen mit mehr als 100 000 Einwohnern, die bisher kein Leihfahrrad-System haben. Dort, wo wir bereits vertreten sind, wollen wir das Angebot weiter verdichten – indem wir mehr Leihstationen bauen und so mehr Fahrräder zur Verfügung stellen, auch in den Randbezirken. In Berlin etwa werden wir im kommenden Jahr mit mehr als 5000 Rädern das größte Leihsystem Deutschlands aufgebaut haben. Selbst bei dieser Zahl gibt es aber grundsätzlich noch viel Luft nach oben. Außerhalb der Städte wollen wir ebenfalls wachsen, und zwar in Verbindung mit dem Nahverkehr. So stellen wir beispielsweise Räder an Pendlerbahnhöfe. Und in hügligen Gegenden bieten wir verstärkt Elektro-Fahrräder an. Viel Potenzial steckt auch in der Vermietung von Lastenfahrrädern.

Und wer zahlt dafür am Ende – etwa die öffentliche Hand?
Das alles sind Investitionen, die wir als Unternehmen tätigen und die sich natürlich auch rechnen müssen. Dabei haben wir mehrere Erlösquellen. Die wichtigste Quelle sind die Verleihgebühren, die die Nutzer für den Gebrauch unserer Räder bezahlen. In einigen Städten, etwa in Berlin, gibt es auch öffentliche Zuschüsse. Dort betrachten die Städte die Leihfahrräder als Teil des öffentlichen Nahverkehrs und sind entsprechend bereit, sich an den Kosten zu beteiligen. Anderswo, etwa hier in Leipzig, zahlen die Städte nichts.

Wo kommt noch Geld her?
Wir schließen Rahmenverträge mit Unternehmen und Einrichtungen ab, etwa Verkehrsbetrieben oder Universitäten. Deren Kunden oder Angehörige nutzen die Räder dann zu Vorzugspreisen. Und dann kann man sich natürlich auch noch Sponsoren suchen und deren Logo auf die Räder drucken.

Verkaufen Sie auch die Daten, die Ihre Kunden hinterlegen und durch den Gebrauch Ihrer Räder erzeugen?
Nein. Die Kunden müssen bei uns auch nur minimale Angaben zu ihrer Person machen. Wir brauchen ihren Namen, ihre Telefonnummer und ihre Bankverbindung. Wenn jemand ein Fahrrad leiht, wissen wir, wo er startet, wo er es wieder abstellt und wie lange die Fahrt gedauert hat. Wo der Kunde langfährt und ob er zwischendrin einen Stopp bei Starbucks oder beim Arzt einlegt, erfahren wir nicht. Technisch wäre es ohne weiteres möglich, solche Daten zu erheben und zu vermarken. Dafür interessieren sich Werbetreibende und bestimmt auch die eine oder andere Sicherheitsbehörde. Wir aber nicht. Außerdem gelten für uns die deutschen Datenschutzbestimmungen und die sind besonders streng.

Wo bekommen Sie eigentlich die ganzen Räder her?
Die bauen wir alle selbst. Wir haben hier in Leipzig eine eigene Montagelinie. Da schrauben etwa 50 Mitarbeiter pro Tag zirka 150 Fahrräder zusammen. Wir führen jetzt aber eine zweite Schicht ein, um die Kapazität zu verdoppeln. Natürlich könnte man auch Räder von Fremdfirmen produzieren lassen. Aber dann bestünde immer die Gefahr, dass der Nachschub ins Stocken gerät oder die Qualität nicht stimmt. Ein Leihfahrrad muss wartungsarm sein, sonst steigen die Kosten.

Ein heißes Thema in Ihrer Branche ist der Expansionsdrang der chinesischen Leihfahrrad-Konzerne Ofo und Mobike. Die nehmen Europa ins Visier, nachdem sie die chinesischen Metropolen mit Millionen von Rädern geflutet und Hunderte von Millionen Dollar an den Kapitalmärkten eingesammelt haben. Verglichen mit diesen Anbietern ist Ihr Unternehmen eine kleine Klitsche. Haben Sie Angst vor der neuen Konkurrenz?
Nein. Ich denke, dass wir für den Wettbewerb gut gewappnet sind. Die chinesischen Anbieter betrachten die Kundendaten als ihr eigentliches Kapital. In China mögen die Leute das akzeptieren, hier in Europa aber sind die Bürger in solchen Dingen sehr sensibel. Hinzu kommt, dass die chinesischen Start-Ups ohne Stationen arbeiten. Die Räder stehen überall in den Städten herum und sind oft in einem erbärmlichen Zustand. Das ist teilweise der totale Wildwuchs. Irgendwann liegen Massen von Fahrrad-Leichen auf Gehsteigen, in Flüssen oder U-Bahn-Stationen und niemand kümmert sich darum.

Und Sie gehen davon aus, dass europäische Städte das verhindern wollen?
Genau. Die werden natürlich erst einmal aufhorchen, wenn ihnen ein Unternehmen anbietet, kostenlos große Mengen Leihfahrräder in die Stadt zu bringen. Aber auf längere Sicht haben die Kommunen ein Interesse daran, die Dinge konzeptionell unter Kontrolle zu behalten und das Leihfahrrad systematisch einzubinden in die örtliche Verkehrsstrategie. Das kann etwa dadurch geschehen, indem man sich mit dem Anbieter darüber ins Benehmen setzt, wo auf öffentlichem Grund Leihstationen entstehen, wie viele Stationen und Räder es gibt und in welchem Zustand diese sein müssen.

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