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Chance auf Schadensersatz

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Von: Ursula Knapp

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Wie verlässlich arbeitet die Abgasreinigung?
Wie verlässlich arbeitet die Abgasreinigung? © dpa

Können Käuferinnen und Käufer Schadensersatz verlangen, wenn das Auto mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist? Ja, entscheidet der Europäische Gerichtshof in einem wegweisenden Urteil - mit Folgen für die deutsche Rechtsprechung.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat die Klagerechte von Autokäuferinnen und -käufern gestärkt, die einen Diesel mit nur eingeschränkt funktionstüchtigem Thermofenster erworben haben. Diese Käufer:innen haben grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz, entschied der EuGH. Das mit Spannung erwartete Urteil erging im Fall von Mercedes-Benz.

Thermofenster sind Teil der Motorensteuerung, die bei kühleren Temperaturen die Abgasreinigung drosseln. Autohersteller argumentieren, das sei notwendig, um den Motor zu schützen.

Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch ist allerdings, dass das Thermofenster nur in einem eingeschränkten Temperaturbereich die Stickoxide herausfiltert, im Jahresdurchschnitt jedoch die Werte nicht einhält. Das ist nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe vor allem bei Fahrzeugen früherer Serien der Fall, wo das Thermofenster nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll arbeite. Bei einer eingeschränkt arbeitenden Filterfunktion handelt sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung, das hatte der EuGH bereits in den vergangenen Jahren entschieden.

Nationale Gericht müssen über Höhe der Entschädigung entscheiden

Die Frage ist nun, wie hoch die Entschädigung sein muss. Die Berechnung hat der EuGH nämlich nicht festlegen können, weil es hierzu keine europäischen Richtlinien gibt. Deshalb ist sie den nationalen Gerichten überlassen. Leitlinie ist allerdings, dass die zwischenzeitliche Nutzung des Autos seit Kauf vom Schadensersatz abgezogen werden kann. Allerdings müsse auch nach solch einem Abzug noch „eine angemessene Entschädigung für den entstandenen Schaden gewährleistet werden“.

Da droht ein nächster Streitpunkt. Mercedes und andere haben nämlich ein Update aufspielen lassen. Frage wird nun sein, ob damit der Schaden gemindert oder gar beseitigt wurde.

Auf jeden Fall hat die Entscheidung Folgen für die deutsche Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nämlich bisher Käufer:innen von Dieselfahrzeugen mit reduziert arbeitendem Thermofenster überhaupt keinen Anspruch auf Schadensersatz zuerkannt. Jetzt muss der BGH noch einmal neu entscheiden. Ein Termin steht bereits fest, am 8. Mai 2023 wird in Karlsruhe verhandelt. In der Ankündigung des Gerichts heißt es, der BGH wolle nach der EuGH-Entscheidung die sich „möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht erörtern“.

Warum der BGH beim Thermofenster eine Haftung von Mercedes ablehnte, ist komplex. Der BGH sah nämlich durchaus, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln könnte. Aber der Einbau sei nicht als gezielte sittenwidrige Manipulation zu werten, so der BGH. Während beim VW-Motor EA 189 gezielt und vorsätzlich eine Abschalteinrichtung installiert wurde, die allein auf dem Prüfstand funktionierte, auf der Straße jedoch zu keinem Zeitpunkt und bei keiner Temperatur, habe beim Thermofenster dagegen allenfalls Fahrlässigkeit vorgelegen.

Einhaltung der Euronorm schützt auch Käuferinnen und Käufer

Der Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit hatte Folgen. Denn bei Fahrlässigkeit bestehe kein Anspruch auf Schadensersatz, so der BGH im Sommer 2020. Denn die Zusicherung der Abgasreinigung betreffe nicht das Verhältnis zwischen Käufer:in und Hersteller. Sie diene dem Umweltschutz, schütze aber nicht Endverbraucher:innen. Eine Voranfrage beim EuGH lehnte der BGH damals ab. Die machte aber das Landgericht Ravensburg und jetzt zeigt sich: Der EuGH sieht es genau anders als der BGH. Die Einhaltung der Euronorm schütze auch Käufer:innen, denn die wollten gerade ein Auto, das sie jederzeit in der EU fahren dürften und auch wieder verkaufen könnten. Mit der unzulässigen Abschalteinrichtung sei das aber nicht möglich, es liege folglich ein finanzieller Schaden vor.

Dass der Bundesgerichtshof die Vorlage an den EuGH im Jahr 2020 ablehnte, hat nun große Folgen. Die deutsche Rechtsprechung muss in Einklang mit Luxemburg gebracht werden und Tausende Fälle sind liegen geblieben. Denn nachdem das Landgericht Ravensburg ausgeschert war und den EuGH anrief, lagen in deutschen Gerichten viele Fälle auf Eis, am BGH sollen es 1900 Revisionsverfahren sein.

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