Nur wenige Menschen beantragen Sozialleistungen - dabei haben sie oft einen Anspruch

Auch Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen können Anspruch auf den staatlichen Kinderzuschlag und auf Wohngeld haben - drei Beispielrechnungen.
Frankfurt – Viele Familien kennen das: Die Miete und die Nebenkosten steigen und steigen – und auch die Fahrt zur Arbeit und die Kita-Gebühren werden immer teurer. Gleichzeitig erhöht sich das Arbeitsentgelt, wenn überhaupt, nur minimal und am Ende des Geldes ist noch Monat übrig.
Was in früheren Jahren hauptsächlich Geringverdiener:innen betraf, gilt inzwischen auch für durchschnittlich und zum Teil auch für überdurchschnittlich Verdienende. Das Arbeitseinkommen reicht oft einfach nicht oder nur mit Mühe aus, um die Miete und die ganzen anderen Kosten zu tragen.
Sozialleistungen beantragen: Komplizierte Formulare und langwierige Verfahren
Natürlich wäre es das Beste, die Mieten würden sinken, die Löhne würden kräftig steigen und Familien besonders treffende Ausgaben wie Kita-Gebühren würden ermäßigt oder abgeschafft. Solange das nicht passiert, sollten sich Familien darüber informieren, ob sie möglicherweise über das Kindergeld hinaus Ansprüche auf staatliche Leistungen haben, und sich nicht scheuen, diese dann auch zu beantragen.
Leider ist das Tableau der staatlichen Hilfen unübersichtlich und viele Familien müssen zwei, drei oder in Einzelfällen sogar noch mehr Anträge stellen, damit sie die ihnen zustehenden Leistungen auch erhalten. Die Formulare sind zum Teil kompliziert, die Antragsverfahren sind oft langwierig und manche Behörden verlangen so viele Unterlagen, dass man schon einmal den Überblick verlieren kann.
Eine vermutlich erhebliche Zahl von Familien hat einen Anspruch auf Sozialleistungen
Eine vermutlich erhebliche Zahl von Familien hat einen Anspruch auf den bei der Familienkasse zu beantragenden Kinderzuschlag und auf Wohngeld, für das in Hessen in den Städten die Magistrate und in den Landkreisen die Kreisausschüsse zuständig sind. Viele Familien kommen jedoch nicht auf den Gedanken, diese Leistungen zu beantragen, weil in Faltblättern, in Zeitungsartikeln und auf Internetseiten sowohl das Wohngeld als auch der Kinderzuschlag als Leistungen für Geringverdiener:innen bezeichnet werden, was in dieser Ausschließlichkeit falsch ist.
Es gibt zwar Familien mit geringen Einkünften, die einen Anspruch auf die beiden Leistungen haben, in vielen Fällen berechtigt jedoch auch ein durchschnittliches und manches Mal auch ein überdurchschnittliches Gehalt dazu, Wohngeld und Kinderzuschlag zu erhalten.
1. Beispiel Sozialleistungen: Wohngeld, Kinderzuschlag und Befreiung der Kita-Gebühren
Ein alleinerziehender Vater lebt mit seiner fünfjährigen Tochter in Frankfurt am Main und bezahlt 740 Euro Bruttokaltmiete und 60 Euro für Heizkosten. Er arbeitet in Teilzeit und verdient 1800 Euro brutto (circa 1360 Euro netto). Für seine Tochter erhält er von der Mutter die nach der Düsseldorfer Tabelle fälligen 283,50 Euro Unterhalt. Außerdem bezieht er 219 Euro Kindergeld.
Beantragt er Wohngeld, bekommt er vom Magistrat der Stadt Frankfurt monatlich 126 Euro. Zusätzlich hat er einen Anspruch auf Kinderzuschlag in Höhe von 77 Euro pro Monat. Stellt er einen Antrag beim Jugendamt, wird er darüber hinaus von der Zahlung der Kita-Gebühren für seine Tochter befreit.
2. Beispiel Sozialleistungen: Übernahme der Kosten für die Fahrt zur Schule, Nachhilfe und Sportverein
Ein Ehepaar lebt mit zwei Schulkindern in Wiesbaden. Der Vater verdient 3000 Euro brutto (knapp 2260 Euro netto), die Mutter hat einen Minijob und trägt mit monatlich 400 Euro zum Familieneinkommen bei. Außerdem bekommt die Familie für ihre beiden Kinder insgesamt 438 Euro Kindergeld. Die Bruttokaltmiete im teuren Wiesbaden beträgt 1200 Euro, zusätzlich sind noch 100 Euro Heizkostenvorauszahlung zu berappen.
Die Familie hat einen Anspruch auf nicht gerade üppige 52 Euro Wohngeld im Monat, aber auf immerhin 211 Euro Kinderzuschlag. Außerdem hat sie die Möglichkeit, für ihre Kinder Leistungen für Bildung und Teilhabe zu erhalten. Dazu gehören zwei Einmalzahlungen für ihre Kinder im Februar und August in Höhe von insgesamt gut 300 Euro pro Jahr, die Übernahme der Kosten für das Mittagessen in der Schulmensa und, falls notwendig, der Kosten für die Fahrt zur Schule, für Nachhilfe oder für den Sportverein.
Die Leistungen für Bildung und Teilhabe sind in Wiesbaden beim Jobcenter zu beantragen, in anderen Kommunen ist die Zuständigkeit zum Teil anders geregelt.
Würde der Familienvater 800 Euro brutto weniger verdienen, hätte die Familie einen deutlich höheren Kinderzuschlags- und einen spürbar höheren Wohngeldanspruch. Im Ergebnis läge das sich aus dem Nettolohn, dem Kindergeld, dem Kinderzuschlag und dem Wohngeld zusammensetzende Haushaltseinkommen bei 2200 Euro brutto um 1,50 Euro niedriger als bei einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro.
Diese leicht skurrile Situation entsteht deswegen, weil der Gesetzgeber das Zusammenspiel von der im Bundesfinanzministerium geplanten Steuergesetzgebung, dem vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zu verantwortenden Wohngeld und dem im Bundesfamilienministerium verorteten Kinderzuschlag schlicht nicht zu Ende gedacht hat.
3. Beispiel Sozialleistungen: Auch Besserverdienende haben Anspruch auf finanzielle Unterstützung
Ein nicht verheiratetes Paar ist mit seinen sechs Kindern in den Vogelsbergkreis gezogen. Dort hat die Familie ein Haus gekauft, die Belastung für Zins und Tilgung beträgt 1500 Euro im Monat. Dazu kommen monatlich noch 250 Euro an kalten Betriebskosten und 150 Euro für Heizkosten. Die alleinverdienende Familienmutter, die mit einem Bruttolohn von 5500 Euro durchaus schon zu den Besserverdienenden gehört, muss jeden Tag sechzig Kilometer zur Arbeit und wieder sechzig Kilometer zurück fahren. Zusätzlich zu ihrem Nettolohn von rund 3470 Euro und dem Kindergeld in Höhe von 1413 Euro hat die Familie einen Anspruch auf rund 633 Euro Kinderzuschlag pro Monat.
Ein Anspruch auf Wohngeld besteht in diesem Fall nicht. Die Familie hat aber die Möglichkeit, über das Jugendamt von den Kita-Gebühren befreit zu werden, und hat außerdem einen Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Ein stringenteres System, das Familien nicht auf mehrere staatliche Stellen verweist, täte not. Solange es ein solche Reform nicht gibt, ist Familien, die mehr schlecht als recht mit ihrem Geld über die Runden kommen, zu empfehlen, Wohngeld, Kinderzuschlag, die Befreiung von Kita-Gebühren und Leistungen für Bildung und Teilhabe zu beantragen.
Der Kinderfreizeitbonus ab August soll es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, Angebote zur Ferien- und Freizeitgestaltung wahrzunehmen und Versäumtes nachzuholen. (Martin Stalger)