Zinspolitik der USA und Europa: Erhöhung der Leitzinsen auf Kosten der Armen

In den USA und Europa nähert sich langsam das Ende der ultralockeren Geldpolitik. In den Schwellenländern dagegen haben die Notenbanken die Zinsen längst erhöht.
Frankfurt am Main - Stark steigende Nachfrage und Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten lassen derzeit die Inflationsraten klettern. Die großen Zentralbanken reagieren: In Nordamerika und Westeuropa läuten sie das Ende der ultralockeren Geldpolitik ein. Dabei gehen sie jedoch behutsam vor, um ihre Wirtschaften nicht zu belasten. Diese Freiheit haben viele Entwicklungs- und Schwellenländer nicht. Um die Abwertung ihrer Währungen zu verhindern, steigen hier die Zinsen schon lange, kommendes Jahr stehen zudem Sparhaushalte auf dem Programm. Das kostet die ärmeren Länder Wachstum – obwohl die Pandemie noch gar nicht ausgestanden ist.
An diesem Mittwoch (03.11.2021) und Donnerstag (04.11.2021) tritt der Offenmarktausschuss der US-Zentralbank zusammen und wird voraussichtlich eine Minderung der Anleihekäufe verkünden. Das wäre der erste kleine Schritt hin zur Beendigung der ultralockeren Geldpolitik, die Wirtschaft und Finanzmärkte seit Jahren stabilisiert. Eine echte Erhöhung der Leitzinsen steht laut Prognosen allerdings erst im kommenden Jahr an. In der Euro-Zone steigen die Leitzinsen voraussichtlich sogar erst im zweiten Halbjahr 2023, um die wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden.
Druck durch die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA
Diesen Grad an Autonomie haben die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer nicht. Denn ihre Ökonomien sind schwächer und ihre Währungen genießen nicht den gleichen Status wie Dollar und Euro. Die höheren Inflationsraten haben daher in zahlreichen Emerging Markets zu Druck auf die Währungen geführt. Verstärkt wurde dieser Druck durch die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA, worauf die Zentralbanken in den Schwellenländern mit Zinserhöhungen reagieren mussten, um ihre Währungen für globale Anleger attraktiv zu halten.
So ist Mexikos Leitzins dieses Jahr von 4,0 auf 4,75 Prozent gestiegen, nachdem sich der Peso einigen „Schwächeanfällen gegenüber dem US-Dollar ausgesetzt“ sah, so die DZ Bank. Ursache der Schwäche seien keine spezifischen Mexiko-Probleme gewesen, sondern zum einen der Renditeanstieg in den USA sowie ein „kritischer Blick“ der Anleger auf „risikobehaftete Assets“ wie Schwellenländerwährungen.
Zinserhöhungen verteuern Kredite und schwächen die Konjunktur
In Chile ist der Leitzins dieses Jahr von 0,5 auf 2,75 Prozent gestiegen. Die russische Zentralbank hob den Zins Ende Oktober auf 7,5 Prozent an – vor einigen Monaten lag er noch bei 4,25 Prozent. Und Brasiliens Notenbank sah sich dieses Jahr gezwungen, den Leitzins von 2,0 auf 7,75 Prozent zu erhöhen. „Andernfalls hätte die Notenbank eine deutlich schwächere Währung riskiert“, erklärt die DZ Bank.
Die Zinserhöhungen verteuern Kredite und schwächen die Konjunktur – zur Unzeit. Denn zum einen liegen die Impfquoten in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern noch relativ niedrig. In Brasilien sind gerade mal 55 Prozent der Bevölkerung voll geimpft, in Mexiko sind es nicht einmal die Hälfte. In Russland, wo kaum ein Drittel der Bevölkerung vollen Impfschutz hat, erreichen die Corona-Neuinfektionen und die damit verbundenen Todesfälle neue Rekordstände. All das lastet auf der Konjunktur, ebenso wie die Wachstumsverlangsamung in China und die steigenden Zinsen. Im Ergebnis liegt der Wachstumsabstand zwischen den Emerging Markets und den etablierten Industriestaaten bei 1,2 Prozent, so der Internationale Währungsfonds, und damit auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Normalerweise wachsen Schwellenländer deutlich stärker als Industriestaaten.
Unterstützung für Ärmere wird gekürzt
Für eine Stimulierung ihrer Ökonomien fehlt den meisten Ländern des globalen Südens das Geld. Sie müssen im Gegenteil sparen, um das Vertrauen der Märkte in die Stabilität ihrer Währungen zu erhalten. „Fast alle Emerging Markets zielen 2022 und 2023 auf eine große Senkung ihrer Haushaltsdefizite“, erklärt das internationale Bankeninstitut IIF. „Das hat einen Preis: Das Wirtschaftswachstum dürfte bald auf das gedämpfte Vor-Corona-Niveau zurückfallen.“ Laut Prognose des IIF werden die Sparanstrengungen das Wachstum der Ländergruppe nächstes Jahr im Durchschnitt um 0,5 Prozent drücken.
Derzeit sind noch keine größeren Turbulenzen an den Finanzmärkten zu sehen – anders als 2013, als die Ankündigung steigender Zinsen in den USA zu Panikattacken an den Märkten geführt hatte. Aktuell dagegen scheinen die Emerging Markets größere Verwerfungen mittels Zinserhöhungen und Einsparungen erfolgreich verhindern zu können.
Doch den Preis für die Stabilisierung des Investorenvertrauens zahlen andere: Der Kern aller fiskalischen Anpassungen besteht aus Ausgabenkürzungen, erklärt das IIF. „Das ist schlecht für das Wachstum, Kürzungen von Unterstützung für die Armen können den privaten Konsum hart treffen.“ Das Zurückfahren von Ausgaben sei zwar „im Prinzip gut für die Bewertung des Kreditrisikos an den Märkten – aktuell könnten die politischen und sozialen Kosten allerdings hoch sein“. (Stephan Kaufmann)